Value & Price

Glosse zur Zukunft

Wenn ich so frei und fröhlich privat sowie hier im Blog in Aktien investiere, dann gehe ich implizit davon aus, dass die Rahmenbedingungen, unter denen ich meine Investmententscheidungen treffe, auf unbestimmte Zeit konstant bleiben. Mit Rahmenbedingungen meine ich das ganze Spektrum an Gegebenheiten, das mein eigenes Leben und somit letztendlich auch meinen Investmenterfolg erst ermöglichen, ja teilweise sogar Voraussetzungen für letzteren ist (Prämissen).

Was sich so philosophisch-verschwurbelt anhört, möchte ich im folgenden Beitrag erläutern und daraus dann Schlüsse über die Redlichkeit (m)eines etwaigen Investmenterfolges ziehen. Inspiriert wurde ich zu diesem Beitrag übrigens durch die relativ einfach erreichte Wertsteigerung meines Musterdepots in Höhe von 11,2% nach nach nur 6 Monaten Laufzeit. Ich bin nicht so vermessen, diese Wertsteigerung allein auf mein „Talent“ zurückzuführen.

Prämisse 1: Politik

Ich möchte hier nicht das klassische Politikerbashing (1) betreiben, sondern einfach nur auf die Ergebnisse der politischen Prozesse Deutschlands der letzten Jahre eingehen. Diese Ergebnisse sind natürlicherweise ein essentieller Bestandteil meiner Investment-Rahmenbedingungen und ein paar relevante davon möchte ich hier nun beispielhaft nennen:

  • Arbeitseinkommen wird in Deutschland stärker besteuert als Kapitalerträge; somit ist es steuerlich „günstiger“ Kapital- statt Arbeitseinkommen zu generieren
  • Die Lobbyarbeit deutscher Unternehmen ist so erfolgreich, die Abhängigkeit der Politik von den wirtschaftlichen Interessen so immens, dass es „vorteilhaft“ ist, deutsche Unternehmen zu besitzen, über die der deutsche Staat schützend seine Hand hält (Volkswagen, BMW, Daimer, BASF und auch große Banken, wenn es notwendig wird/war)
  • Über die privaten Medien haben die Unternehmen so starken, öffentlichen Einfluss auf die Politik, dass man sich als Unternehmer wenig Gedanken über etwaige renditebedrohende politische Entscheidungen machen muss (Beispiel Christian Wulff, seine Äußerungen zur Euro-Krise, zu den Muslimen in Deutschland und die danach ad-hoc losgetretene Wulff-Affäre); nicht einmal bedrohlicher Atommüll oder der weltweit angeprangerte Klimawandel können die Politik zu richtungsweisenden, wirksamen Eingriffen in das bestehende Wirtschaftssystem bewegen; als Investor sollte ich das gut finden!
  • Die Arbeit der deutschen Politik in der Vergangenheit ist so stark wirtschaftlich getrieben, so stark auf Klientelpolitik fokussiert, dass wir im Windschatten unserer „transatlantischen Partner“ sogar völkerrechtswidrige Drohnenkriege, militärische Eingriffe in andere souveräne Staaten billigen; darüber hinaus wissen wir, dass deutsche Unternehmen Kriegsgerät in Krisengebiete liefern und somit am Sterben anderer Menschen mitverdienen
  • Wir, als Volk, und unsere Repräsentanten wissen, dass eine 1,5 Liter Flasche Mineralwasser im Supermarkt nicht wirklich nur 19 Cent kosten kann, wenn anderswo auf der Welt Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben; ein Dreierpack Kinder-Shirts in einem Geschäft der lokalen Textilkette kann nicht für 2 Euro über den Ladentisch gehen, wenn dafür das Shirt nicht anderswo auf der Welt zu Hungerlöhnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert wird; dieser Zustand wird akzeptiert und das Gebahren der Unternehmen in dieser Hinsicht ebenfalls; alles ganz normal

Die obige Liste ist bei weitem nicht vollständig, zur Illustration meiner ersten Prämisse hingegen soll sie genügen. Ich weiß, dass das alles so ist. Ich weiß, dass Otto Normal nur so leben kann, wie er lebt, weil die Politik das so zulässt und ihre Hand über ihr Unternehmensklientel bzw. deren Bedürfnisse hält.

Prämisse 2: Kapitalismus pur

„Unternehmen sind wie scheue Lämmer, man muss sie pflegen, hegen, darf sie mit Regularien nicht verschrecken, sonst ziehen sie ab und mit ihnen das alles entscheidende Kapital. Alles muss den Unternehmensinteressen untergeordnet werden, beim Henne-Ei-Problem zwischen Angebot und Nachfrage ist es ganz klar das Angebot, das gepampert werden muss! Alles, was auf den Menschen, auf soziale Bedürfnisse der Gesellschaft ausgerichtet ist, ist störend und muss vermieden werden. Sozial ist was Arbeit schafft!“ – So oder so ähnlich würde ich die zweite Prämisse zusammenfassen.

Themen wie Umweltschutz, Klimaschutz, freier Zugang zur Bildung für alle, soziale Absicherung in allen Lebenslagen, Kultur und Kunst, ausreichend gesunde Nahrung für alle Menschen, Frieden (!) für alle Menschen sind maximal Nebenprodukte, wenn es gut läuft, des freien Kapital- und Warenverkehrs und werden gern geduldet, müssen aber auch nicht sein. Dass diese Themen den Menschen und seine Natur im Kern aber ausmachen, ist irrelevant. Vorbilder sind die „reichsten Menschen der Welt“ mit ihren „innovativen Ideen“ und „Investment-Talenten“. Handwerker, Krankenschwestern, Polizisten, Lehrer, Erzieher etc. sind keine Stars, werden also auch nicht wie Stars bezahlt. Wenn du Star sein willst, arbeite weniger, investiere mehr! Egal ob das für dich in deiner Lebensituation völliger Humbug ist! Benutze deine Ellenbogen, sei rücksichtslos! Sei ein Wolf!

Als Investor will ich natürlich auch „reich“ werden (also in Euro/Zahlungsmittel ausgedrückt), was sonst ist mein Ziel? Demnach muss ich es machen wie die Stars, wie Buffett, Fink oder irgendein anderer strenggläubiger, westlicher Kapitalist. Überhaupt ist die USA mit ihrem Wirtschaftssystem dasjenige, welches die optimalen Bedingungen zum „reich werden“ bietet, also freue ich mich darüber, dass Deutschland sich diesbezüglich an die USA annähert, assozialer unsozialer wird. Die Unternehmen werden immer reicher, ich als Aktieninhaber werde demnach auch immer reicher und alles andere kann mir ruhig egal sein! Prämisse bestätigt.

Prämisse 3: Glaube

Der Deutsche wird in dieses politisch sanktionierte Wirtschaftssystem hineingebohren, wird hier groß und wenn er Pech hat, lernt er nur, dass dieses „freiheitlich-demokratische“ System das Beste aller möglichen Systeme ist. Er lernt ferner, dass dieses, „unser“ System zusammen mit unseren „Systempartnern“, also Ländern, die auch unser System implementiert haben, beschützt werden muss. Auf der ganzen Welt! In der Hauptstadt von Afghanisaton und auch mit einem Raketenschild in Polen gegen die Mittelstreckenraketen aus dem Iran. Alles, was nicht unserem System entspricht, anders ist oder zu weit „östlich“ liegt, ist schlecht. Alles, was von außen in unser System eindringen will, muss abgeblockt werden. Es ist heutzutage sogar en vouge, dass Menschen, die durch unserern Krieg, Hunger oder Gewalt ihre Heimat verlassen, um sich zu „uns“ aufzumachen, um in „unsere Sozialsysteme einzuwandern“, einfach im Mittelmeer verrecken. „Die sollen doch mal lieber ihr Land aufbauen! So wie mein Opa nach dem zweiten Weltkrieg! Der hatte auch nix zu fressen!“.

Weil es eben in den Köpfen der Menschen kein alternatives, besseres System gibt, die Medien dieses System bejubeln und der Deutsche mit diesem System, in dem er ganz passabel leben kann, groß gezogen wird, verstärkt sich der Glaube in und an das System. Und wie lautet doch das Bonmot: „Eine Lüge kann man mit Fakten widerlegen. Aber einen Mythos zu zerstören ist ungleich schwerer, wenn er erstmal verankert ist.“ (Gustave Le Bon oder Edward Bernays hat das gesagt, glaube ich, ohne es aber genau zu wissen; ich bitte um Nachsicht; in diesem Zusammenhang verweise auch auf das Buch „Meinungsmache“ von Albrecht Müller sowie auf diese Arte-Reportage über Bernays (leider nicht mehr online verfügbar))

Die Menschen, die dieses System von unten verändern, revolutionieren müssten, glauben also fest an den Mythos der Perfektheit des Systems, in dem sie leben, und somit wird sich am System selbst, ohne ein exogenes Trauma, nichts verändern. Im Gegenteil, die Kapitalgläubigen werden dieses System sogar verteidigen, weil sie sich beispielsweise bei Debatten um die Einführung einer Vermögenssteuer tatsächlich in der davon betroffenen Gruppe von Bürgern wähnen. Sie wollen auch reich sein! Sie wollen dafür arbeiten! Und wenn sie mal reich sind, soll es auch nicht besteuert werden.

Mich zum Wohle der Gesellschaft enteignen lassen? „Niemals!“ Verstaatlichen von gesellschaftlich essentiellen Industrie wie Forstflächen, städtische Wohnungsunternehmen, Telefondienstleistern, Postwesen, Wasserbetrieben, Energieversorgern? „Sozialismus! DDR!! Das wollen wir nicht!!!“ Lieber schnell die Deutsche Bahn privatisieren, damit die endlich „effizient“ gemanagt werden kann (sprich: rentabel wird; wer soll daran überhaupt ein Interesse haben? Kostendeckend genügt doch oder? Niemals nie!!!).

Jeder 20-jährige Idealist mit seinen Träumen von einer heilen Welt und den Vorstellungen vom Weg dorthin wird doch spätestens im Alter von 30 Jahren, nach seiner ersten Hochzeit, nach der Geburt seines ersten Kindes, selbst zum Spießer und kümmert sich nur noch um seine Familie. Sicherheit, Essen, Arbeit, Haus, Auskommen (sprich: Investieren!)! „Was ist mit deinen Idealen?“, möchte ich ihm zurufen. „Die Ideale? Achso ja, ja dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr und alleine kann ich eh nichts machen.“ Letzteres ist wahrscheinlich der wahre Kern dieser Prämisse.

Resümee

Ich freue mich über Investmenterfolg und über das bißchen Grips, dass ich dazu gewinnbringend aufwenden kann. Mir ist allerdings bewusst, dass ich Beklemmungen bekomme, wenn ich das BASF-Werk Ludwigshafen betrete, weil das einfach ein widernatürlicher Industriemoloch ist; dass ich, wenn ich welche hätte, meine Kinder vor Agranas „Zuckerbomben“ bewahren wollen würde, weil solch eine Nahrung schlichtweg nicht „artgerecht ist“ und zur Völlerei verführt; dass meine Einstellung im Allgemeinen eher humanistisch, also auf die natürlichen Bedürfnisse und Rechte des Menschen, ausgerichtet ist, als auf die Bedürfnisse und Rechte von Unternehmen.

Unter den beschriebenen Prämissen habe ich aus meiner Sicht keine andere Möglichkeit, als zu investieren, wenn ich mein persönliches Auskommen sichern will. Das Dilemma zwischen meinem humanistischen und meinem gierigen Ich aufzulösen, die Misstände energischer anzuprangern, habe ich aufgegeben, weil ich mir einbilde, dass das zu viel meiner Lebensenergie verschlingen würde, zu gefährlich wäre, ohne wirklich Aussicht auf Erfolg zu haben. Vielleicht mache ich es wie die Superreichen, wenn ich irgendwann mal zu ihnen gehöre: Charity da, wo ich es für richtig und wichtig erachte. Aber tortzdem jetzt schon gegen die Vermögenssteuer wettern. Vielleicht ist das der Weg, das Dilemma alt, weise und reich aufzulösen. Ich weiß es nicht. – „La vie est belle!“


(1) Zum Politikerbashing möchte ich dem Leser ein kleines Gedankenexperiment antragen. Stellen Sie sich vor, Sie wären hauptberuflich Politiker und im Parlament stünde die Entscheidung darüber an, die Diäten bzw. die allgemeine finanzelle „Politikerversorgung“ zu erhöhen. Würden Sie dagegen votieren? Würden Sie auch dann dagegen votieren, wenn nicht feststünde, dass alle anderen dafür stimmen werden? Würden Sie auch dann dagegen votieren, wenn die Diät Ihre einzige Einkommensquelle ist? Wenn Sie alle Fragen reinen Gewissens mit „Ja“ beantworten können, herzlichen Glückwunsch! Dann fragen Sie sich doch aber bitte weiter, wie viele Personen Ihres Bekanntenkreises reinen Gewissens so wie Sie handeln würden.

Mein Punkt ist, dass jeder Politiker trotz seiner gesellschaftlichen Verantwortung am Ende auch eben einfach nur Mensch ist. Mit dem ganzen Strauß an menschlichen Regungen: Gier, Neid, Hunger, Angst etc. „Wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein!“

2 Kommentare

  1. Michael

    Hallo, die Glosse habe ich heute mit Vergnügen gelesen. Finde mich in vielen Gedanken wieder. Parallel dazu habe ich einen Artikel der Warema AG Chefin in der Welt Online gelesen. Industriestandort Deutschland in Gefahr! Die Gewerkschaften fordern zu viel, die Politik verlangt unmenschliches von den Unternehmen… Sicherlich ist die Chefin für ihre 440 Mitarbeiter verantwortlich. Allerdings macht mich ein Aspekt sehr stutzig. Wir scheinen generell mit Lohnabschlüssen über der Inflation weit über des machbaren zu gehen!? Für mich stellt sich immer mehr die Frage – warum? Warum muss ein Unternehmen das Rekordgewinne einfährt (vielleicht nicht die Warema, aber viele andere) im nächsten Jahr nochmal etwas draufsatteln – und der Lohnempfänger soll Jahr für Jahr den Gürtel enger schnallen? Wo hört die Spirale auf? Aufgrund des fortschreitenden Lebens und der Notwendigkeit seine Groschen zu sparen und evtl. noch gewinnbringend (für das Alter) anzulegen investiere ich gerne in Aktien und ETF. Aber mir wäre wohler, wenn ich eben anstatt 11,2% nur die Hälfte (p.a.) hätte – und dafür eine leicht „bessere“ Welt. Es wird wohl ein frommer Wunsch bleiben. Oder?

    • Vincent Bouvier

      Hallo Michael,

      im Grunde ist die Problematik zu groß, als dass sie in ein paar Worten und Absätzen zusammengefasst werden könnte. Der Kern allerdings, so meine ich, lässt sich ganz gut bennenen: es ist der Krieg zwischen Arm und Reich, wie Warren Buffet so schön gesagt haben soll. (siehe auch die „Anstalt“-Sendung zum Neoliberalismus vom 7.11.2017)

      Wenn unsere Situation im Grunde also ein Krieg ist, dann stellt sich für mich die einfache Frage, zu welcher Partei ich gehöre. Die Antwort: mit Sicherheit zu den Armen. Das ganze Value-Investing ist ja schön und gut, aber ich habe leider keine Ahnung, ob ich es damit jemals schaffen werde, „überlaufen zu können“. Zumal sich die andere Kriegspartei, die Reichen, ja über üppige Erbschaften, enormen, medialen und politischen Einfluss selbst abschirmen bzw. bevorteilen kann. Als wäre das nicht genug, hat unser Gegner, die Reichen, die Macht, uns, die Armen, mit giftigen Scheindebatten über Zuwanderung, Hartz 4, Maut, Neid, den neuesten Klatsch über Promi XY, Tariflöhne und -verhandlungen, Beamte oder die „faulen Griechen“ langanhaltend zu schwächen.

      Um also Ihre Frage bezüglich Ihres „frommen Wunsches“ zu beantworten: Unsere Chancen stehen sehr schlecht.

      Meistens klammere ich mich nach solch einem Fazit an folgende Idee: Wenn es genug Menschen gibt, die das Mensch-sein nicht vergessen, sich dadurch über alle Scheindebatten hinweg auf den Kern der Problematik zu stürzen wagen, um ihn an der Wurzel zu packen und etwas neues, gesünderes an seine Stelle zu pflanzen, dann wird sich das gesellschaftliche Schiff, nicht nur für Deutschland, sondern für alle Menschen, herumreißen lassen.

      Jeder in seinem Mikrokosmos, jeder freundlich, höflich und menschlich im Dunstkreise seines Daseins; insbesondere unsere Nachkommen müssen auf diese Weise von uns lernen; alles ist im Fluss… Und wenn wir genügend „gesunde Materie“ mitfließen lassen, dann ändert sich irgendwann auch was…

      Viele Grüße und mutige Hoffnung

      V. Bouvier

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