Value & Price

John Maynard Keynes

Jeder neu geborene Mensch, abgesehen von seiner genetischen Disposition, ist intellektuell gesehen erst einmal „leer“. Im Laufe seines Lebens wird dieser Mensch durch sein soziales Umfeld, seine Bildung, seine Erfahrungen etc. geprägt und entwickelt daraus seine ganz eigene Strategie, das Leben zu meistern. Auch Investment-Legenden wie Benjamin Graham und sein Schüler Warren Buffett mussten diesen Lernpfad bestreiten und ich habe mich immer gefragt: Was waren deren Einflüsse in Bezug auf den Value-Ansatz bei der Wertpapierauswahl? Ist die Idee des Value-Investings durch diese beiden erst entstanden oder gab es signifikante Einflüsse, die ihren Intellekt diesbezüglich mitgeformt haben? In seinem Brief an die Aktionäre aus dem Jahr 1991 gibt Warren Buffett ein interessantes Zitat John Maynard Keynes‘ zum Besten, das seine, Buffetts, Investment-Philosophie und sein Vorbild dafür auf den Punkt bringt.

As time goes on, I get more and more convinced that the right method in investment is to put fairly large sums into enterprises which one thinks one knows something about and in the management of which one thoroughly believes. It is a mistake to think that one limits one’s risk by spreading too much between enterprises about which one knows little and has no reason for special confidence. . . . One’s knowledge and experience are definitely limited and there are seldom more than two or three enterprises at any given time in which I personally feel myself entitled to put full confidence.

John Maynard Keynes in einem Brief an F. C. Scott im Jahre 1934

Ich möchte im heutigen Beitrag tiefer in die Gedanken des Value-Investors (?) John Maynard Keynes und seine Philosophie eindringen. Es scheint beim Value-Investing offensichtlich zeitlose Gesetzmäßigkeiten zu geben, die Weltkriege und Weltwirtschaftskrisen langfristig überdauern und die heute noch gelten.

Keynes‘ Werdegang

Über den Volkswirt und Ökonomen Keynes ist bereits viel geschrieben worden. Dass er aufgrund seiner praktischen Erfahrungen am Devisen- und später am Rohstoffmarkt gegen Ende seines Lebens immer mehr zum Value-Investor mutierte, dass er sogar als „Vater des Value“ gilt, verbinden die Wenigsten mit seinem Namen. Seine Spekulationserfahrungen im Nachkriegseuropa der 1920er Jahre kulminierten übrigens in insgesamt zwei vollständigen Verlusten seiner Portofolios (Details dazu gibt es im kurzweiligen Buch „Keynes Way to Wealth“ von John F. Wasik, aus dem ich im Verlauf weitere Episoden zitieren werde).

Die Weltwirtschaftskrise ab 1930 hat ihm gezeigt, dass Volkswirtschaften nach einem Absturz eben nicht „automatisch“ wieder zu wachsen beginnen, dass der Konsum und das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft der notwendige Grundstein für jeden Aufschwung ist. Keine Zinspolitik einer Notenbank, kein aktives managen der Geldmenge kann das leisten, was für den Beginn eines neuen Konjunkturzyklus erforderlich ist. Und wenn die Menschen kein Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft haben, sparen sie. Damit fallen die Umsätze der Unternehmen, die Leute werden entlassen, die gesamte Wirtschaft schrumpft, die Menschen sparen für die schlechten Zeiten noch mehr und so fort.

Ein weiterer Aspekt, der auf Keynes Beobachtungen beruht, ist das Auftreten und die Unberechenbarkeit der „Animal Spirits“ (animalische Instinkte, nenne ich das mal), die die Marktteilnehmer beherrschen. Jeder Ökonom kann also berechnen was er will, kann von einer unanfechtbaren Rationalität jedes Wirtschaftssubjekte ausgehen und wird dabei aber niemals das Verhalten der Menschen, die zukünftigen Entwicklung der Wirtschaften voraussagen können. Der Markt ist nicht „vollkommen“, es sind nicht alle Informationen im Preis eines Wirtschaftsgutes widergespiegelt und der Markt kann auch einfach mal irrational und verrückt sein. Hiermit schafft Keynes die verhaltenstechnische Grundlage für den von Benjamin Graham so treffend beschriebenen Mr. Market.

Keynes‘ Investmentmeinung

Im Jahre 1937 erfolgte mitten in der Weltwirtschaftskrise ein weiterer, bitterer Börsencrash. Dieses Ereignis erzeugt, wie immer in solchen Situation, erheblichen Gegenwind für Value-Investoren und zu diesem Zeitpunkt dann auch für Keynes, weil er eben von der Bewertung der von ihnen ausgewählten Aktien und der Irrationalität des Marktes überzeugt war. Aus dieser Zeit stammen dann auch aufschlussreiche Zitate, die den Geist hinter dem keynesianischen Value-Ansatz beleuchten:

I do not believe that selling at very low prices is a remedy for having failed to sell at high ones. […] As soon as prices had fallen below a reasonable estimate of instrinsic value and long-period probabilities, there was nothing more to be done.

Keynes an den Chairman des National Mutual, 18. März 1938

Nachdem Keynes im Börsenbsturz von 1937 also rund 640.000 Pfund Sterling Wertverlust des National Mutual Insurance Company Portfolios zu erklären hatte, verargumentierte er seine Überzeugung, dass es zu Preisen unter „intrinsischem Wert“ keinen Sinn mache, zu verkaufen. Unabhängig davon, was „alle anderen“ täten. Er geht sogar noch weiter:

I feel no shame at being found owning a share when the bottom of the market comes. […] The idea that we should all be selling out to the other fellow and should all be finding ourselves with nothing but cash at the bottom of the market ist not merely fantastic, but destructive of the whole system.

Ebenda

Keynes ist er Überzeugung, dass niemand den Markt timen kann. Wenn die eigene Analyse der langfristigen Aussichten eines Unternehmens stimmt und der aktuelle Preis des Wertpapiers unter dem ermittelten Wert liegt, gibt es in der Talsole des Absturzes keinen Grund, panisch zu handeln. Erst recht nicht, wenn man dabei Aktien besitzt. Denn:

If we get out, our mentality being as it is, we shall never get back in again until much too late and will assuredly be left behind when the recovery does come. If the recovery never comes, nothing matters.

ein anderer brief von keynes an National mutual, undatiert

Resümee

Wer Originaltexte bevorzugt, dem lege ich Kapitel 12 von Keynes „The General Theory on Employment, Interest and Money“ für die Beziehung zwischen Langfristaussichten von Unternehmen und Vetrauen in diese ans Herz.

Mein persönliches Fazit ist, dass sich die gründliche Analyse von Unternehmen, deren vorsichtig geschätzte Gewinne und Geschäftsaussichten und die auf dieser Analyse basierende Investmententscheidung schon seit Jahrzehnten als Methode zum langfristigen Vermögensaufbau bewährt hat. Jeder, der den Value-Ansatz verfolgt, wird früher oder später einmal damit konfrontiert sein, sich gegen den Markt, gegen den allgemeinen Konsens stellen zu müssen und dafür als verrückt abgestempelt zu werden. Es ist gut zu wissen, dass es schon große Value-Investoren gab, die das alles schon einmal durchgemacht haben und die Nachwelt nun davon profitiert.

1 Kommentar

  1. havald

    — Jeder neu geborene Mensch, abgesehen von seiner genetischen Disposition, ist intellektuell gesehen erst einmal “leer”.

    herzig. das ist so, als würde man sagen: jeder (erb)milliardär ist, abgesehen von seinen ererbten milliarden, erst mal arm.

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