In meinem Beitrag über Benjamin Graham erwähnte ich den ominösen „Mr. Market“ bereits einmal, möchte dieser Metapher mit dem folgenden Artikel allerdings den Raum geben, der ihr gebührt. Graham benutzte dieses Gleichnis treffenderweise, um das tägliche Börsengeschehen mit den häufig übertriebenen „Aufs und Abs“ der Aktienkurse sowie die Wirkung auf die Psychologie der Martkteilnehmer zu beschreiben.

Zur Untermalung werde ich ein paar praktische Aktienkurs-Beispiele anführen, die das Verhalten Mr. Markets vor dem geistigen Auge des Lesers hoffentlich lebendig werden lassen und dem Investor „in spe“ vielleicht die Gelegenheit für zukünftige Reflexionen in dieser Hinsicht bieten.

In seinem Buch „The Intelligent Investor“ beschreibt Benjamin Graham Mr. Market ausführlich und für jeden nachlesbar. Ich möchte hier allerdings Warren Buffett, Grahams „Schüler“, zu Wort kommen lassen, der die Metapher etwas lebhafter ausmalt:

Even though the business that the two of you own may have economic characteristics that are stable, Mr. Market’s quotations will be anything but. For, sad to say, the poor fellow has incurable emotional problems. At times he feels euphoric and can see only the favorable factors affecting the business. When in that mood, he names a very high buy-sell price because he fears that you will snap up his interest and rob him of imminent gains. At other times he is depressed and can see nothing but trouble ahead for both the business and the world. On these occasions he will name a very low price, since he is terrified that you will unload your interest on him.

Warren Buffett, Letter to Shareholders, 1987

Eine Figur also mit „unheilbaren emotionalen Problemen“, die sich, je nach Großwetterlage, in die höchsten Höhen beziehungsweise tiefsten Tiefen begibt und dabei meistens die überwiegende Anzahl anderer Marktteilnehmer mitreisst, wodurch seine Reaktion sich selbst rückkoppelt und verstärkt.

Beispiel „Höhe“

Wie ich in meinem Beitrag über die Fielmann AG bereits erwähnte, ist dieses Unternehmen grundsolide und ertragsstark. Mr. Market bietet mir die Aktie aktuell zu rund 60 Euro das Stück an. Das ist im Vergleich zum Hoch von 75 Euro im August 2017 natürlich ein schöner Abschlag. Im Vergleich zum inneren Wert der Aktie jedoch, den ich bei etwa 20 Euro/Aktie taxiere, ist das ein Aufschlag um 300% (Wie die 20 Euro zustande kommen bitte ich meinem o. g. Fielmann-Beitrag zu entnehmen). Das KGV über die Gewinne der vergangenen 7 Jahre liegt bei rund 30.

Aus dieser, meiner Sicht übertreibt Mr. Market auch bei 60 Euro also noch mit seiner Preisvorstellung. Es gibt darüber hinaus aber einen anderen Aspekt seines Charakters, den ich erwähnen möchte.

Wie dem Fielmann Aktien-Chart der letzten 3 Jahre zu entnehmen ist, ist der Aktienkurs der AG in dieser Zeit mehrmals von über 70 Euro auf unter 60 gefallen. Das sogar vor dem Hintegrund, dass sich er jährliche Gewinn je Aktie in diesem Zeitraum stetig vergrößert hat, nämlich von 1,51 Euro/Aktie in 2012 bis zu 2,07 Euro/Aktie in 2017. Wozu also diese Ausschläge?

DAS alles ist Mr. Market in Aktion! Steigende Gewinne, aber seine Emotionen schlagen nach oben und unten aus, je nach Tagesform.

Beispiel „Tiefe“

In meinen Beiträgen zu Hornbach (hier und hier der Nachtrag) kam ich zum Schluss, dass die Aktie der Holding mit einem bilanziellen Buchwert von knapp 80 Euro aktuell, also bei 45 Euro je Aktie, völlig unterbewertet ist. Bei den veranschlagten 80 Euro je Aktie, sind zukünftige Gewinne noch gar nicht betrachtet aber es ist davon auszugehen, dass der innere Wert der Aktie unter Einbeziehung dieser Gewinne gut über 80 Euro liegt.

Mr. Market ist also der Meinung, dass ein Kursrückgang vom Hoch bei 80 Euro Mitte 2017 zu den heutigen 45 Euro je Aktie gerechtfertigt sei. Einen ähnlichen Rückgang kann man im 5-Jahreschart der Aktie auch von Anfang 2015 bis Anfang 2016 ablesen. Zur Veranschaulichung: In den letzten 7 Jahren hat Hornbach einen durchschnittlichen Gewinn je Aktie von 4,86 Euro erwirtschaftet, was bei heutigem Kurs einem KGV von etwa 9 entspricht.

Auch DAS ist Mr. Market wie er leibt und lebt!

Beispiel „Na und?“

Neben Mr. Markets Beispielen für Über- und Unterbewertung sowie seinen lebhaften regelmäßigen Kursausschläge gibt es auch Aktien, deren tägliches Handels- und Nachrichtenvolumen so gering ist, dass er vielleicht insgesamt nur 5-10 tägliche Transaktionen „an den Mann bringen“ kann.

Im Wochenchart der GBK Beteiligungen AG beispielsweise kam es in der Woche vom 05.03. bis 11.03. zu knapp 10 „neuen“ Kursen (Kursfeststellungen/Transaktionen) an der Börse Stuttgart. Das ist schon viel, weil eben am 07.03. per Ad-Hoc-Meldung die 2018er Jahresergebnisse verkündet wurden. Erfahrungsgemäß sind die 3 Tage um solch ein Ereignis herum die aktivsten Handelstage (zum Vergleich der Handelsvolumina möge der Leser das Wochenchart der großen BASF SE sowie die Dichte der „Grünen und Roten Balken“ im darunterliegenden Balkendiagramm zu Rate ziehen; deutlicher wird es noch beim Intraday-Chart).

Ein weiteres Beispiel für solche wenig gehandelten Unternehmen ist die Paul Hartmann AG. Ohne Nachrichten wurde in der Woche vom 05.03. bis 11.03. an der Börse Frankfurt nur etwa 10 Geschäfte (Kauf/Verkauf) getätigt (hier geht es zum Chart).

Ursachen

Nun sind an den täglichen Börsenkursen und jährlichen Aktiencharts der prominenten Titel zwar extreme Bewegungen abzulesen, aber die Ursachen dafür sind dabei nicht klar. Manchmal wird eine starke Kursbewegung von allgemeinen Wirtschaftsnachrichten (sprich Makro: „der IFO-Index fällt“, „Trump und China verstärken Handelskrieg“, Terroranschlag etc.) verursacht, andere Male hingegen sind es negative Unternehmensmeldungen, die den Ausschlag geben (sprich Mikro: „Hornbach meldet, Gewinne unter Vorjahr“).

Die Stärke einer Übertreibung in die eine oder andere Richtung hängt oftmals mit der Prominenz der Aktie zusammen. DAX-Titel beispielsweise werden von allen Nachrichtensendungen rigoros verfolgt. Jede Kursbewegung, jeder Personalwechsel, jede Nachricht wird aufgesogen und „im Kurs verarbeitet“. Daher werden solche Aktien auch als „hochliquide“ bezeichnet, weil Mr. Market eben mehrmals am Tag mit einem neuen Preisangebot pro Aktie vor meiner Tür steht.

Weniger prominente Aktien (siehe Schloss Wachenheim AG) hingegen werden wenig bis gar nicht beachtet, erfahren nicht solche plötzlichen Kursbewegungen und sind in daher in der Theorie weniger liquide. Mr. Market kommt eben nur einmal täglich vorbei und weiß eigentlich nicht, wie er den Preis, den er gerade bietet, finden soll. Euphorisch? Depressiv? Er weiß es eben nicht.

So oder so ist Mr. Market eine Fahne im Wind, dient aber dennoch leider vielen Marktteilnehmern also Barometer für die Güte ihrer Investmententscheidungen. Dies begünstigt dann natürlich die Übertreibung in die eine oder anderen Richtung wenn das Barometer extrem und unerwartet ausschlägt. Eine zusätzliche Komponente ist der Hochfrequenzhandel von Computeralgorithmen, die, in Nanosekunden und schneller als jeder Mensch, Entscheidungen anhand von vordefinierten Algorithmen treffen. Fundamentaldaten, mikro oder makro, spielen dort keine Rolle mehr. (dazu ein Lesetipp von mir: „Flash Boys“ von Michael Lewis)

Und nun? Was tun?

Es gibt einen Lichtblick:

Mr. Market has another endearing characteristic: He doesn’t mind being ignored. If his quotation is uninteresting to you today, he will be back with a new one tomorrow. Transactions are strictly at your option. Under these conditions, the more manic-depressive his behavior, the better for you.

Warren Buffett, Letter to Shareholders, 1987

Natürlich bin auch ich nicht gefeit davor, emotional auf jeden Tick des täglichen Aktienbarometers zu reagieren. Jeder Tick bedeutet für mich mehr oder weniger grün oder rot im Portfolio. Diese Reaktion ist, ich schelte mich selbst, vollständiger Unsinn. Meine Entscheidungen als Value Investor basieren normalerweise auf einem für mich definierten Prozess der Analyse, die am Ende eine Aussage darüber zulässt, ob eine Aktie teuer oder billig ist.

Allein dieser Prozess ist wichtig. Was Mr. Market jeden Tag aufs Neue aus seinem Hut zaubert sollte für mich nur peripher relevant sein. Ich möchte daher mit einem Verweis auf meinen Beitrag zu „Wirtschaftlichem Gewinn“ schließen. Wer langfristig investiert ist an einem regelmäßigen Einkommen aus seinen Investmententscheidungen interessiert. Die Messung von Erfolg und Misserfolg sollte auf der Basis mehrjähriger Gewinne erfolgen.

Bis dahin ist des essentiell, den Prozess seiner eigenen Aktienauswahl und -entscheidung stetig zu verbessern. Dieser Prozess führt irgendwann hoffentlich zu einer Immunisierung gegen die Launen Mr. Markets. Na mal sehen… 🙂


Buffetts Aktionärsbrief, 1987: http://www.berkshirehathaway.com/letters/1987.html