Value & Price

Nachtrag: Munich Re

Nach meinem letzten Artikel zur Munich Re hatte ich, entgegen meiner Erwartung, nicht das Gefühl, das Versicherungsthema, die Branche, die Unternehmen, Versicherer vs. Versichertem erschöpfend beziehungsweise befriedigend betrachtet zu haben. Für mich blieben einige Fragen offen, die ich in diesem Nachtrag nun zu beantworten suche.

Um das Wesen der Assekuranzen gründlicher zu verstehen, Buffetts Fetisch besser nachvollziehen zu können, will ich also heute auf Basis der Berkshire-Aktionärsbriefe, Buffetts Einschätzung/Historie zu seinen Versicherungsunternehmen und der Q3/2019-Präsentation tiefer in die Materie eindringen. Insbesondere sein Ein– und Ausstieg in die Eigentümerschaft bei der Munich Re wirft für mich einige Fragen auf. Ich hoffe, am Ende des Artikels selbsbewusst sagen zu können, ob die Munich Re zum aktuellen Kurs (knapp 260 Euro) ein guter Kauf ist.

Buffetts Anfänge

In seinem 1977er Brief an die Aktionäre beschreibt Warren Buffett seinen Einstieg in das Versicherungsgeschäft.

It was early in 1967 that we made our entry into this industry through the purchase of National Indemnity Company and National Fire and Marine Insurance Company (sister companies) for approximately $8.6 million. In that year their premium volume amounted to $22 million. In 1977 our aggregate insurance premium volume was $151 million. No additional shares of Berkshire Hathaway stock have been issued to achieve any of this growth.

Letter to shareholders, Warren bUffett, 1977

Hier geht es schon los: Buffett kaufte zwei Versicherungsunternehmen, deren Prämienvolumen bei insgesamt 22 Millionen Dollar lag, für rund 8,6 Millionen Dollar. Innerhalb von 10 Jahren ist das Prämienvolumen von 22 Millionen Dollar auf 151 Millionen Dollar gewachsen. Zum Vergleich: das Rückversicherungsgeschäft der Munich Re wuchs von 21.900 Millonen Euro (2008) auf 31.300 Millionen Euro (2018), das Volumen des Erstversicherungsgeschäftes (ERGO) verharrte in diesen 10 Jahren bei ungefähr 17.000 Millionen Euro.

Buffett betont, dass dieses, sein Wachstum mitnichten linear verlief:

In 1977 the winds in insurance underwriting were squarely behind us. Very large rate increases were effected throughout the industry in 1976 to offset the disastrous underwriting results of 1974 and 1975. But, because insurance policies typically are written for one-year periods, with pricing mistakes capable of correction only upon renewal, it was 1977 before the full impact was felt upon earnings of those earlier rate increases.

Letter to shareholders, Warren bUffett, 1977

Eine weitere wichtige Vokabel, nämlich „insurance underwriting„, wird hier erwähnt. Für die Zeit, in der der Versicherer, das entsprechende Risiko des Versicherten übernimmt („Versicherungszeitraum“, meist 1 Jahr), zahlt der Versicherte („der Versicherungsnehmer“), dem Versicherer eine Prämie. Während es des Versicherungszeitraumes werden auch Schäden („Losses“) entstehen, die der Versicherer dann zu ersetzen hat. Zusätzlich zu den Schäden hat der Versicherer selbst natürlich noch Kosten („Expenses“), die durch die Prämien gedeckt werden müssen. Die zentrale Frage des Versicherungseschäftes lautet also: Wie gut sind die vom Versicherer übernommenen Risiken von den eingenommenen Prämien „underwritten„?!

„Combined Ratio“

Ein Versicherer ist „gut“ aufgestellt, wenn „Losses plus Expenses“ unter den während des Versicherungszeitraumes eingenommenen Prämien liegt. Gemessen wird das „Gut-sein“ eines Versicherer übrigens in der „Combined Ratio“ (Schaden-Kosten-Quote). Eine Kennzahl, die sich aus „Losses plus Expenses“ dividiert durch die „eingenommenen Prämien“ ergibt. Für das Rückversicherungsgeschäft der Munich Re im Q3/2019 lag dieses Zahl bei 104,7% (schlecht, weil insgesamt mehr an „Losses/Expenses“ abfloss, als an Prämien hereinkam), im Q2/2019 hingegen bei 87,7% (ganz gut, weil mehr an Prämie hängen blieb, als an „Losses/Expenses“ ausbezahlt wurde).

Das Erstversicherungsgeschäft des Konzerns („international“) lag im letzten Quartal bei 91,8%, einem Tiefpunkt im Vergleich zu den letzten 7 Quartalen (gut), für ERGO Germany hingegen bei 92,1% (etwas schlechter als „international“). Die Quelle dieser Zahlen ist übrigens das Handout zur letzten Analystenkonferenz (Seite 10, 12 und 16, Danke an den Leser FoxSr!).

Für eine gute „Combined Ratio“ kann der Versicherer nun an zwei Stellschrauben direkt und an einer Stellschraube nur indirekt drehen. Die direkten Stellschrauben lauten „Expenses“ (seine eigenen Kosten im Griff haben und senken) und „eingenommene Prämien“, die er bei der Neuverhandlung des versicherten Risikos jährlich neu rausschlagen kann. Bei den Indirekten, den „Losses“ muss er sich auf sein Risikomanagement verlassen. Ob ein Schaden, eine Naturkatastrophe eintritt, kann der Versicherer normalerweise nicht beeinflussen. Er muss die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses aber valide antizipieren können.

So oder so strebt der Versicherer immer einen „underwriting profit“ (Combined Ratio bzw. Schaden-Kosten-Quote unter 100%), also ein Plus an eingenommen Prämien gegenüber den „Losses/Expenses“ an.

„Float“

Hier will ich keinen Versuch wagen, es besser zu erklären, als Warren Buffett selbst:

Insurers receive premiums upfront and pay claims later. In extreme cases, such as those arising from certain workers’ compensation accidents, payments can stretch over decades. This collect-now, pay-later model leaves us holding large sums – money we call “float” – that will eventually go to others. Meanwhile, we get to invest this float for Berkshire’s benefit.

Letter to shareholders, Warren Buffett, 2009

Neben einem potentiellen „underwriting profit“ befindet sich der Versicherer also in der komfortablen Situation, dass er den Float zu seinem eigenen Vorteil investieren kann! Weil das natürlich ein fast schon paradiesischer Zustand ist, vermerkt das Orakel aus Omaha einschränkend dazu:

If premiums exceed the total of expenses and eventual losses, we register an underwriting profit that adds to the investment income produced from the float. This combination allows us to enjoy the use of free money – and, better yet, get paid for holding it. Alas, the hope of this happy result attracts intense competition, so vigorous in most years as to cause the P/C industry as a whole to operate at a significant underwriting loss. This loss, in effect, is what the industry pays to hold its float. Usually this cost is fairly low, but in some catastrophe-ridden years the cost from underwriting losses more than eats up the income derived from use of float.

Letter to shareholders, Warren bUffett, 2009

Durch den starken Wettbewerb in der Versicherungsbranche, der sich in einem gegenseitigen Unterbieten bei den Prämien für die Policen ausdrückt, arbeiten alle Versicherer in der P/C-(Eigentumsschaden)-industry meist mit einem „underwriting loss„. Dass es den „Größeren“ in der Branche durch ihre enorme Finanzkraft dann leichter fällt, die „Kleineren“ früher oder später zu schlucken/zu verdrängen, ist wenig überraschend. Dennoch ist und bliebt der Konkurrenzkampf in diesem Bereich immer präsent. Der „underwriting loss“ ist manchmal auch so groß, dass er das ganze „investment income from float“ vertilgt. In diesem Fall geht es ans Eingemachte (Eigenkapital). Dieser Fall ist also unbedingt zu vermeiden!

Investment des Float

Weil das Versicherungsgeschäft eben so hart umkämpft ist, ist die Qualität der Investments, der Erträge der Investments aus dem Float, von grundlegender Bedeutung für die Profitabilität eines Versicherers. Wer das „Investieren des Floats“ bei Berkshire Hathaway erledigt, muss ich hier nicht weiter erläutern. Auf die MEAG, den „Asset Manager der Munich Re und ERGO„, muss ich aber in diesem Zusammenhang noch einen schärferen Blick werfen, weil ich bisher eben noch nichts von einem „Orakel aus München“ vernehmen konnte, auf das ich mich verlassen darf.

Die weltweiten Kapitalanlagen von MunichRe werden von der MEAG betreut, die ihre Kompetenz auch privaten und institutionellen Anlegern außerhalb der Gruppe anbietet.

Geschäftsbericht 2018, Seite 25

Die MEAG ist eine riesige, auch für Private und Institutionelle außerhalb des Konzern nutzbare, Kapitalsammelstelle, die dafür veranwortlich ist, den Float der Munich Re renditeträchtig zu „verarbeiten“. Das fünfte Slide des Q3/2019-Handouts der Munich Re unterteilt das gesamte Investment Portfolio des Konzerns in 54% fest-verzinsliche Wertpapiere, 27,1% Kredite, 7,2% Aktien und Aktienähnlich, 4,3% Immobilien und 7,6% Sonstigem (Bankguthaben, Derivate etc.).

Es gibt eigene MEAG-Fonds, in die jeder Investor selbsttätig investieren kann. Insgesamt befinden sich 278.000 Millionen Euro Assets „under management“ der MEAG. Wer es möchte, der kann die MEAG sogar zu seinem Vermieter machen (gewerblich oder privat). Wie ertragreich jede einzelne Asset-Klasse ist, kann auf Slide 26 des aktuellen Handouts nachgelesen werden (Danke nochmal an FoxSr!). Ebenfalls auf diesem Slide ist der durchschnittliche „Return on Investment (RoI)“, also das, was der Float so einbringt, quartalsweise dargestellt. Die MEAG scheint immer so um die 3% RoI zu erzielen. Das ist, mit einem hauptsächlich festverzinslichen Portfolio, in der Zeit nullprozentiger Zinsen nicht schlecht, möchte ich meinen.

Zusammenfassung

Dieser Artikel ist schon wieder länger geworden, als ich es ursprünglich geplant hatte, aber was soll es denn. Den inneren Wert der Munich Re Aktie hatte ich in meinem ersten Beitrag dazu bei etwa 280 Euro taxiert. Es gibt, und das bewerte ich als Ausdruck konservativer Bilanzierungsmethoden, auf Slide 32 des Q3-Handouts noch „Off-Balance-Sheet“-Reserven, die pro Aktie etwa rund 36 Euro Buchwert zusätzlich (!) ausmachen.

Ich komme heute also zu dem Schluss, dass die Munich Re Aktie unterbewertet ist. Die Profitabilität eines Versicherers im „Versicherungssegment“ ist aus meiner Sicht solange gesichert, wie wenigstens auf Jahressicht ein „underwriting profit“ zu verzeichnen ist. Mal ist der größer, mal ist der kleiner, je nach Schadenssituation. Der Hauptteil der Gewinne einer Assekuranz muss aber aus dem investierten Float generiert werden. Selbst für die aktuelle Niedrigzinsphase ist Munich Re mit der Möglichkeit, etwas mehr auf Aktien oder Immobilien zu setzen, mit ihrem KnowHow und ihrer schieren Größe sowie Systemrelevanz für die Zukunft solide aufgestellt. Daher:


Ad-hoc Update Musterdepot

Mit meinen 2.353,88 Euro aus dem letzten Ad-Hoc-Update zum Musterdepot kaufe ich 8 Munich Re Aktien zum Kurs von 258 Euro (Volumen: 2064 Euro). Dafür muss ich natürlich 20,64 Euro an Transaktionsgebühren berappen und mir verbleibt ein neuer Cash-Bestand von 269,24 Euro. Mein Einstiegskurs je Aktie beträgt inkl. der Transaktionskosten 260,58 Euro. Inkl. aller aktuellen Kurse sieht mein Musterdepot nun so aus:

Bouvier Musterdepot nach Ad-Hoc-Update Munich Re

Warum hat Buffett nun verkauft?

Ich denke, ein Kommentator meines ersten Artikels zur Munich Re hat es gut zusammengefasst: „Also Ich beobachte die Münchner Rück seit etwa 20 Jahren, und in der Regel war die Range für die Dividende immer so zwischen 4-5%! Im Moment steht hier eine 3 vor dem Komma!

Es wird für die Munich Re immer schwieriger, frühere Renditehöhen zu erwirtschaften. Buffett, verwöhnt von seinen hohen „float und underwriting profits“ der Vergangenheit, wird dies ähnlich sehen und daher ausgestiegen sein. Er selbst hat ja nun selbst das Problem, dass er mit seinem Cash nicht mehr weiß wohin. Das alles kann ich aber nur vermuten und weiß es doch eh nicht genauer! In diesem Zusammenhang finde es übrigens fast schon unverschämt, dass er keine Dividende ausschüttet. Das Geld seiner Investmentgesellschaft liegt auf Halde herum. Er selbst ist ein Verfechter davon, das Cash, wenn sich keine renditeträchrigen Möglichkeiten bieten, an die Eigentümer zurückzugeben. Nun ja!

Nichtsdestotrotz sehe ich in der Munich Re eine aus Versicherungs- und Investmentgeschäft bestehende Beimischung für mein Depot. Es gibt bessere und schlechtere Zeiten. Und wenn die Zeiten rosig wären, dann könnte ich die Munich Re nun nicht unterbewertet kaufen. In diesem Sinne also danke fürs Lesen!

– Fin –

1 Kommentar

  1. FoxSr

    Hallo Vincent Bouvier,
    sehr gut haben Sie die Knackpunkte herausgearbeitet. W.B. und seine Beweggründe für Des-/ Investments sind eine laaaange Grundsatz-Diskussion wert. Als er am 19.10.1987 vom Crash mit seinen überdurchschnittlichen Aktienquoten erwischt wurde, gab es von einem Direktor des führenden Rückversicherers einen schadenfrohen Kommentar, daß W.B. aufpassen müsse, daß er nicht pleite geht. Na ja, heute ist W.B. einer der reichsten Investoren der Neuzeit und der Direktor (fast) vergessen. 2001/2 stellte die Münchener Rück das Bondportfolio auf asset/liability-Matching um, somit wurden Bonds mit einer Duration von bis zu 15 gekauft, um das long tail-Versicherungsgeschäft zu matchen. Well done. Der frühere CFO der Münchener Rück sagte live in einer PK, daß der Effekt der hochverzinslichen Bonds in 2016 ausläuft. Die Langläufer mit 5-7 % igem Kupon wurden fällig. Seit 2016 stiegen aber die Aktien weiter bei Warren Buffett. Und was machten die Zinsen seit 2016 im Hinblick auf die unverändert hohe Rentenquote?
    Alles klar?
    Schöne Woche FoxSr

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