Wer wie ich eine Abneigung gegen jedwede Werbung entwickelt hat, sei es im Radio (siehe auch Klassik Radio AG), im Fernsehen, bei YouTube oder auf Online-Nachrichtenportalen, wird sich sicherlich auch schon einmal gefragt haben, wie dieses ganze „Offline“-Werbegeschäft in Zeiten von Google, Facebook, Ad-Blockern und Streaming-Portalen OHNE Werbung überhaupt noch funktionieren kann. Mit „Offline“-Werbung meine ich Bushaltestellen, beleuchtete Werbetafeln in Stadtzentren, Bahnhöfe oder halt ganz allgemeine Plakatwerbung. Weil unter jeder Tafel meist der Werbetreibende bzw. die für die Anzeige verantwortliche Werbefirma prangt, bin ich auf die börsennotierte Ströer SE & Co. KGaA gestoßen worden und war motiviert, mir dieses Unternehmen näher anzusehen.

Der aktuelle Kurs dieses SDAX-Wertes beträgt rund 71 Euro und ich möchte wie immer gern wissen, ob hier ein Value-Investment darauf wartet, getätigt zu werden.

Geschäftsstruktur (OOH plus)

Zusammengefasst sieht sich die Ströer SE als „führender deutscher Außenwerber„, der seinen „werbungtreibenden Kunden individualisierte, voll integrierte Komplettlösungen entlang der gesamten Marketing- und Vertriebswertschöpfungskette“ anbietet. Dieses Geschäftsmodell basiert auf der „Out-of-Home-plus“-Strategie (OOH plus), die im Kern aus ingesamt rund 300.000 deutschlandweiten Werbeträgern (sprich: Außenwerbeflächen; daher auch „Out-of-Home“) besteht. Wo sich diese teilweise exklusiven Werbeflächen befinden, wie teuer die Buchung solcher Werbeflächen ist und wie stark die Wirkung einer Ströer-Werbekampagne sein könnte, lässt sich auf der dediziert eingerichteten Webseite „https://www.stroeer-direkt.de“ einsehen. Einfach mal eine bekannte Postleitzahl eingeben und prüfen, wie stark Ströer-Flächen in der eigenen Stadt vertreten sind.

Basis des Außenwerbegeschäfts ist ein attraktives Portfolio an Verträgen mit privaten und öffentlichen Grundstücks- und Gebäudeeigentümern, von denen Ströer Werberechtskonzessionen für reichweitenstarke Standorte erlangt. Von besonderer Bedeutung sind dabei Verträge mit Kommunen, für die Ströer als Systemanbieter intelligente und passgenaue Infrastrukturlösungen entwickelt, welche das Stadtbild aufwerten oder zusätzliche Dienste ermöglichen.

Geschäftsbericht 2018, Seite 13

Flankiert wird die OOH-Komponente des Geschäftsmodells von den Geschäftsfeldern „Content“ und „Direct Media“ (daher auch OOH plus). Im Segment Content, seit Ende 2018 heißt dieses Segment nun „Digital OOH & Content“, um der engen Verzahnung mit dem OOH-Segment gerecht zu werden, verfügt Ströer über eine Reichweite von 50,35 Millionen Unique Usern pro Monat und zählt damit zu den „bedeutendsten Display- und Mobile-Vermarktern im deutschen Werbemarkt„. Durch seine eigenen Webseiten (t-online.de, Giga.de, Kino.de), durch eine eigene, automatisierte Technologieplattform für die Vermittlung von digitalen Werbeanzeigen und durch die Möglichkeit „Rich Media und Native Advertising mit klassischen Display-Werbeformaten und neuen Bewegtbild-Produkten intelligent zu verknüpfen„, ist Ströer der Werbeanbieter mit der größten Reichweite innerhalb Deutschlands.


Zwischenkommentar

Nach diesem ganzen Werbejargon fühle ich mich gezwungen, das, was das Segment „Digital OOH & Content“ so treibt, in einfachere Worte zu fassen. Grundsätzliches Ziel eines digitalen Werbeflächenvermarkters muss es sein, den Verbraucher mit seinen Anzeigen zu erreichen. Das bedeutet zum Einen, dass er immer auf der Höhe der technologischen Möglichkeiten innovativ zu sein hat, und zum Anderen die Werbungtreibenden davon überzeugen muss, den Verbraucher trotz des allgemeinen Drangs zur Vermeidung von Werbung erreichen zu können. Wenn ich mir vorstelle, dass der Aufruf eine Internetseite zunächst das Herunterladen einer 5-MB-Rich-Media-Audio-Video-Anzeige bedeutet, dann möchte ich das natürlicherweise vermeiden, um schneller zum eigentlichen Inhalt der aufgerufenen Internetseite zu gelangen; dies gilt insbesondere für mobile Endgeräte (Smartphones etc.) die mit Datenvolumen und Displaygröße per se schon eng bemessen sind.

Die digitale Reichweite von „Digital OOH & Content“ ist enorm: Mobiles Marketing in Apps, in Spielen, fremde Webseiten mit Exklusivmandat für Werbung (ariva.de, Computec/Gamesworld, Computec/Golem, DER-Touristik), eigene Webseiten (z. B. desired.de) und sogar das Marketing über Influencer (YouTube, Instagram etc. über die TUBE ONE Networks Agentur). Kurzum: alles, was im Internet und daher auf Endgeräten an Werbung möglich ist, wird auch beworben. In diesem Geschäftsfeld, das sich hauptsächlich auf den deutschen Markt beschränkt, finde ich es daher plausibel, dass Ströer wirklich eine höhere Reichweite erzielt, als zum Beispiel Twitter, Google oder Facebook.


Segment „Direct Media“

Durch die Akquisition mehrer Dienstanbieter in diesem Bereich (Avedo Gruppe, Ranger Gruppe, DV-Com, C2E etc.) ist die Ströer Dialog Group in die Top-3 der deutschen Anbieter für Call-Center-Kapazitäten aufgestiegen. Diese Kapazitäten werden insbesondere für Telesales, Dialog-Marketing und als Dienstleistung für „performance-orientieren“ Direktvertrieb eingesetzt. Durch die Übernahme der „optimise-it“ im Juli 2018 wird deutlich, dass auch in diesem Segment stets auf innovative Vertriebsmöglichkeiten gesetzt werden muss, um den Verbraucher zu erreichen. (z. B. Online-Chat-Services, künstliche Intelligenz und Automatisierung). Ein Beispiel für das soeben Gesagte ist die „Vodafone Online Filiale„: „ein Produkt welches Ströer gemeinsam mit Vodafone entwickelt und implementiert hat und bei dem unterschiedliche Dialogdienste und -technologien smart miteinander verzahnt werden.

Ganz subjektiv möchte ich auch zu diesem Segment anmerken, dass es all das tut, was mich nervt wenig gesellschaftlichen Mehrwert bietet bzw. was aus meiner Sicht zu unnötig erhöhten Konsum der Bürger führt: Ungebetene Werbeanrufe, Verkaufsfernsehen, Direktvertrieb (Vorwerk, Amway etc.) und auch Beschäftigung von Call-Center-Mitarbeitern. Wer wenn nicht Ströer „Direct Media“ wäre zum Beispiel daran interessiert, an meine Adress- und Telefondaten zu gelangen bzw. damit zu handeln?

Finanzkennzahlen

Für das Geschäftsjahr 2018 berichtet Ströer einen Umsatz von 1.582 Mio. Euro mit einem Konzernergebnis von (minus) 5,8 Mio. Euro. Aufgeteilt nach Segmenten steuerten OOH rund 42%, Digital OOH & Content rund 36% und Direct Media rund 22% zum Umsatz bei. Der Vorstand des Unternehmens stuft das Jahr 2018 als „erfolgreich“ ein. Wie kann er das bei dem negativen Ergebnis tun? Ein Blick in die Gewinn-und-Verlustrechnung zeigt, dass es einen „nicht-fortgeführten Geschäftsbereich“ gibt, der das Ergebnis „versaut“ hat. Ohne diesen Bereich wäre der Überschuss gut positiv. Was ist das also für ein Bereich? Die Antwort lautet: „Ströer Türkei“.

Ein wichtiges Ereignis des vergangenen Geschäftsjahres war der erfolgreiche Verkauf unseres Türkeigeschäfts im Oktober 2018. Bereits im vergangenen Jahr haben wir den Istanbuler Stadtvertrag abgegeben. Daher gehörten die Türkeiaktivitäten nicht mehr zu unserem Kerngeschäft.

Geschäftsbericht 2018, Seite 5

Der aktuelle Zwischenbericht für das Halbjahr 2019 meldet einen Konzernumsatz von 787,4 Mio. Euro mit einem Konzernergebnis von 41,8 Mio. Euro. Der durchschnittliche Gewinn je Aktie für die letzten 7 Jahre beträgt 0,62 Euro. Daraus errechnet sich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 114 (?). Auf Basis des unverwässerten Ergebnisses und ohne Ströer Türkei von 2018 (1,89 Euro) ergibt sich ein KGV von 37,7. Die Dividende der letzten 7 Jahre reicht von 0,00 Euro bis 2 Euro und betrug im Schnitt 0,80 Euro. Dies ergibt eine retrospektive Rendite von 1,1%. Für die 2018er-Dividende ergäbe sich bei heutigem Kurs eine Rendite von 2,8%.

Bilanz

Ende 2018 beträgt das bilanzielle Ströer Vermögen rund 3 Mio. Euro. Die größten Komponenten dieses Vermögens sind „immaterielle Vermögenswerte“ (Goodwill, Rechte & Lizenzen, Erworbene Technologien etc.) in Höhe von 1.259 Mio. Euro, Sachanlagen (Betriebs- & Geschäftsausstattung, geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau, Grundstücke etc.) in Höhe von 1.300 Mio. Euro, Forderungen (166 Mio. Euro) und Zahlungsmittel (103 Mio. Euro).

Das Eigenkapital des Unternehmens beträgt insgesamt 669 Mio. Euro (Quote: 22,3%), auf die Aktionäre der SE entfallen allerdings nur 663 Mio. Euro. Daraus ergibt sich ein Buchwert je Aktie von 11,84 Euro (Stand: Ende 2018) Auf Seite 112 des 2018er Geschäftsberichtes ist zu erkennen, dass die „durchschnittliche Anzahl ausgegebener Aktien“ durch die „Effekte aus begebenen Bezugsrechten“ fluktuiert.

Resümee

Die für mich persönlich unattraktiven Geschäftssegmente „Digital OOH & Content“ sowie „Direct Media“ muss ich für eine valide Bewertung nicht weiter quantifizieren, weil die Kennzahlen eine deutliche Sprache sprechen.

Die Ströer SE ist kein Value-Investment für mich. Die SE als Holding vieler kleiner Tochterunternehmen unterliegt einer sich ständig verändernden Unternehmensstruktur. Das Vermögen besteht daher auch zu einem großen Teil aus „Akquisitions-Goodwill“. Wenn ich diesen Umstand ignoriere und das Vermögen gänzlich für bare Münze nähme, läge der Buchwert noch weit unter dem heutigen Kurs der Aktie. Die Gewinne der SE sind aus meiner Sicht nicht von dauerhafter Qualität. Je nach Wirtschaftslage, je nach Glück oder Pech bei der Geschäftsentwicklung können die Jahresergebnisse erheblich variieren. Auch KGV und Eigenkapitalquote deuten darauf hin, dass Mr. Market das Unternehmen überbewertet. In Summe liegt der innere Wert der Aktie aus meiner Sicht also weit unter dem heute verlangten Preis von 71 Euro.