Value & Price

PAO Gazprom – Teil 2

Nachdem ich im ersten Teil meiner Analyse zu Gazprom die politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abgeklopft habe, soll es im zweiten Teil um die klassischen Finanz- und Unternehmenskennzahlen gehen. Der aktuelle Aktienkurs liegt bei rund 6,50 Euro (WKN: 903276) und ich möchte im heutigen Beitrag die Frage beantworten, wo für mich der innere Wert des Unternehmens liegt und ob sich hier eventuell ein Value-Investment tätigen lässt. Der erste Teil behandelte ausführlich die russischen Gegebenheiten und ich schicke voraus, dass der Kauf russischer Unternehmensaktien aus meiner Sicht nicht riskanter sein kann, als der Kauf chinesischer, japanischer oder brasilianischer Aktien. In allen Fällen bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich weder die Heimatsprache des Unternehmens spreche/verstehe, noch mich im Rechtssystem des Landes auskenne oder in der Lage wäre, „mal eben“ zur Konzernzentrale zu reisen, um einen Termin beim CEO wahrzunehmen.

Die Aktien

Wie auf der IR-Webseite von Gazprom erkennbar ist, werden über 50% der Aktien direkt oder indirekt von der russischen Regierung gehalten/kontrolliert. Zu diesen Aktien gibt es ein „Memorandum of Intent“ vom April 2017 der russischen Regierung das besagt, dass eine Veräußerung dieses „federal property“ nicht vorgesehen ist („divestiture of the PJSC «Gazprom» shares owned as federal property is not envisaged“).

Ein weiterer Anteil von 25% der Gazprom-Aktien befindet sich in den Händen von ADR-Inhabern, für die die Bank of New York Mellon (BNYM) pro ADR-Zertifikat jeweils zwei echte Gazprom-Aktien hinterlegen muss. Zu den Details und Modalitäten von ADRs verweise ich auf meinen Beitrag dazu bzw. auf die Gazprom-IR-Webseite zum ADR-Programm. Somit bleiben also nur knapp 25% im echten FreeFloat bzw. werden von „Other legal entities and individuals“ gehalten. Natürliche werden ADRs auch von „entities und individuals“ gehalten, allerdings interessiere ich mich als Value-Investor vordergründig für die echten Aktien. Wo könnte ich diese Aktien denn aber nun erwerben? Das gestaltet sich nämlich gar nich so einfach.

Wenn ich zum Beispiel „Gazprom“ in das Suchfeld bei finanzen.net eintippe, dann gelange ich zunächst zu den ADRs. Zwar steht dort dann ganz frech „Gazprom Aktie“, aber wenn ich mir die ISIN ansehe, dann wird dort die US3682872078 angezeigt, was eindeutig die Kennnummer des ADR-Programmes ist. Für dieses Wertpapier kann ich dann auch alle in Deutschland einschlägigen Handelsplätze (Stuttgart, Berlin, Frankfurt, XETRA etc) auswählen.

Ein weiteres Suchergebnis auf der o. g. Webseite bezieht sich auf die „Gazprom PJSC Aktie“ mit der ISIN RU0007661625 zum aktuellen Kurs von rund 232 Rubel. Auf Yahoo Finance findet sich die Aktie unter dem Tickersymbol „GAZP“, also dem Symbol, das auch auf der IR-Webseite von der PAO selbst genannt wird. Dieses Wertpapier wird nur in Russland gehandelt (Börse Moskau und St. Petersburg). Aus meiner Sicht ist das die eigentliche Gazprom-Aktie, auf die sich der Freefloat abseits von russischer Regierung und ADR-Programm bezieht. Neben der eigentlichen Gazprom-Aktie gibt es noch Aktien von Unternehmen namens „Gazprom Neft“ und „Gazprom gazoraspredelenie Rostov-na-Donu“ allerdings sind das alles Töchter der großen Mutter PAO Gazprom, die ebenfalls gesonderte ADRs bzw. normale Aktien ausgegeben haben.

Wenn meine obigen Gedanken zum Verhältnis von ADR zu Aktie stimmen, dann müssten 232 Rubel in Euro umgerechnet ungefähr der Hälfte des Kurses eines ADR entsprechen und siehe da: 1 Euro kostet heute ungefähr 71,40 Rubel, daher sind 232 Rubel ungefähr 3,24 Euro und das entspricht ziemlich genau der Hälfte des aktuellen ADR-Kurses von 6,45 Euro. So weit, so gut!

Kerngeschäft(e)

Der Jahresbericht 2018 der PAO (bzw. Public Joint Stock Company, PJSC) Gazprom vermittelt einen umfassenden Einblick darüber, in wie vielen kostenintensiven Bereichen das Unternehmen tätig ist und welche einzigartige Rolle es für das so rohstoffreiche Russland spielt. Seite 46 bis 49 fassen das Business schön zusammen: Nr. 1 bei weltweiten Erdgasreservern, bei weltweiter Erdgasförderung, bei der Länge des Pipelinesystems, bei Erdgasexporten, bei der Stromerzeugung, bei der Wärmeerzeugung. Darüber hinaus führend in der russischen Ölförderung und der Herstellung von ölbasierten Produkten.

Seite 134 des Jahresberichtes zeigt, dass der Gesamtumsatz des Jahres 2018 in Höhe von 8.224 Milliarden Rubel hauptsächlich aus dem Gasverkauf (4.303 Mrd. Rubel) und dem Vertrieb von „refined products“ (2.179 Mrd. Rubel) stammt. Auch die Investitionen, gelistet auf Seite 137 des Reports, zeigen, wo das meiste Geld verwendet und verdient wird (Transportation/Pipelines und Refining). Die „financial policy“ von Gazprom besagt übrigens, dass alle Investitionen (capital expenditures) aus dem „operating CashFlow“ bestritten werden müssen/sollen. Dies ist aus meiner Sicht auch der Grund dafür, dass der FreeCashFlow (also CashFlow nach Abzug aller Investitionsausgaben) nicht etwa hoch ist, sondern in den vergangenen Jahren immer nahe bei Null liegt.

Abgesehen vom eigentlichen Geschäft besteht die Hauptaufgabe des Unternehmens für mich auch darin, den russischen Rohstoffreichtum zu verwalten, zu erweitern und die Erlöse zum größten Teil dem russischen Staat und seinem Volk zukommen zu lassen. Auch das zähle ich daher zum Kerngeschäft.

Finanzkennzahlen

Was mich bei meiner Analyse besonders interessierte war, welche Vorgaben es für öffentliche Aktiengesellschaften Russlands in Bezug auf ihre Rechnungslegung gibt. Gibt es eine eigene, russische Philosophie dazu oder orientiert sich der „Bär“ am westlichen Vorbild? Vor dem Hintergrund der Öffnung seiner Wirtschaft, der Erhöhung der wirtschaftlichen Transparenz ist es für mich nur folgerichtig, dass es den russischen Publikumsgesellschaften vom Gesetzgeber vorgeschrieben wurde, ihre Jahresabschlüsse nach dem IFRS-Standard zu erstellen (zum Werdegang dieses Beschlusses und weitere Details dazu siehe diesen öffentlichen Leitfaden zur russischen Rechnungslegung der Kanzlei Roedl & Partner). Abgesehen davon, dass alle Werte in Rubel ausgewiesen sind, kann ich mir die Bilanz der Gazprom also wie jede andere westliche Bilanz zu Gemüte führen.

Das Vermögen (21.242.648 Mio. RUB; in Euro rund 298.000 Mio.) der PAO besteht hauptsächlich aus „property, plants and equipment“ (66%) und aus kurzfristigen Vermögenswerten (Cash, Forderungen, Vorräte etc.; insgesamt knapp 19%). Die größten Posten der Passiv-Seite sind zum Einen langfristige Finanzverbindlichkeiten (15% des Gesamtvermögens) und zum Anderen kurzfristige Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen (knapp 8% d. V.). Die Eigenkapitalquote beträgt zum letzten Stichtag (30. Juni 2019) ziemlich genau 66%. Abzüglich des Vermögens der Minderheitengesellschafter beträgt das Eigenkapital (Buchwert) je Aktie sage und schreibe 573,87 Rubel (8,03 Euro). Das F-Score der Jahre 2017 bis 2018 beträgt 7 von 9 möglichen Punkten.

Aus dem Financial Factsheet der Gazprom IR-Webseite ist auf Seite 2 zu erkennen, wie sich dieser Buchwert in den letzten 6 Jahren entwickelt hat (Net Assets per Share in Rubel). Dieses Factsheet liefert mir auch Aufschluss über die Gewinne und Dividenden der letzten Jahre. So beträgt der durchschnittliche Gewinn je Aktie (ab 2013 bis heute) 38,54 Rubel (0,54 Euro); die Dividende im gleichen Zeitraum 9,16 Rubel (rund 0,13 Euro). Das retrospektive Kurs-Gewinn-Verhältnis bei heutigem Kurs liegt bei 6, die Dividendenrendite bei 3,9%. Bei einer gemittelten Ausschüttungsquote von circa 24% scheint diese Dividende gut von den Gewinnen gedeckt.

Resümee

Mit der kräftigen Vermögensposition, der Rückendeckung durch die russische Regierung und den bisher noch nicht angezapften Gasreserven ist die PAO Gazprom ein beeindruckender russischer Rohstoffriese. Selbst die von der USA und EU ab 2016/17 orchestrierten Wirtschaftssanktionen konnten Gazprom nicht davon abhalten, Umsatz und Gewinn in 2018 erheblich zu steigern. Der innere Wert einer Aktie dieses Unternehmens liegt inklusive Sicherheitsmarge also irgendwo zwischen 500 und 700 Rubel, wenn ich das Vermögen je Aktie von 573 Rubel und einen Gewinn je Aktie für die nächsten 5 Jahre von pessimistischen 20 Rubel annehme. In Euro ausgedrückt liegt diese Spanne bei 7 bis 9,80 Euro. Wie bereits erwähnt kann ich mir für 6,43 Euro ein ADR mit 2 Gazprom-Aktien von der Bank of New York Mellon hinterlegen lassen und das ist angesichts eines inneren Wertes von mindestens 14 Euro für die beiden Aktien ein echtes Schnäppchen.

Um nun aber direkt an der Moskauer Börse ein paar Anteile kaufen und den amerikanischen Mittelsmann vermeiden zu können, müsste ich mir wohl ein Depot bei einer russischen Bank eröffnen sowie die einheimische Währung erwerben. In Summe ist mir solch ein Engagement allerdings zu aufwendig (Formalitäten etc.) und mit zu vielen Unsicherheiten (Wechselkurse etc.) belegt, weshalb ich meine Finger davon lassen werde. Nichtsdestrotz: als Russe würde ich heute sicherlich Gazprom-Aktien kaufen; auch dann, wenn ich schon welche hätte.

– Fin –


F-Score Tabelle

F-Score Tabelle Gazprom von 2017 zu 2018
F-Score Tabelle Gazprom von 2017 zu 2018

Finanzabschluss Gazprom 2018: https://www.gazprom.com/f/posts/67/776998/gazprom-financial-report-2018-en.pdf

Jahresreport Gazprom 2018: https://www.gazprom.com/f/posts/67/776998/gazprom-annual-report-2018-en.pdf

2 Kommentare

  1. Michael

    Danke Vinzent – ich stimme deiner Conclusio zu, Gazprom ist noch immer sehr vernnftig bewertet (vor 1-2 Jahren einzusteigen war allerdings noch viel günstiger!). Die ADRs sind doch eh recht gut handelbar in einem normalen Depot als US-gelisteter Wert. Man müsste von einem Pleitegang der emittierenden Bank ausgehen, um ein Negativszenario zu haben – ich finde daher GazProm als (via ADR) Beimischung zu einem diversifizierten Depot durchaus valide. Aber das darf ja jeder zum Glück selbst entscheiden.
    Good luck allen Investierten

  2. Edward Schubert

    Danke fuer den tollen Blog Beitrag!

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