Value & Price

Strabag SE

ALL meinen Twitter-Followern – also insgesamt 12 Accounts, von denen sicherlich der eine oder andere ein Porno-Bot ist – wird aufgefallen sein, dass ich mich in letzter Zeit ziemlich oft dazu hinreißen lassen habe, die #Bullshit-Bewertungen der #FAAMG-Aktien und die Aktienrally-geilen Kommentare der Finanzpresse (Looking at you @hb_finanzen und @wiwo) ins Lächerliche zu ziehen, weil die realwirtschaftlichen Quartalsdaten der Unternehmen eben für eine Divergenz zwischen Börsengeschehen und „Main Street“ sprechen. Doch plötzlich, mitten in meinem zu 85% irrelevanten Twitter-Stream finde ich einen Artikel über die vergleichsweise Schwäche des ATX und dem Versuch einer Begründung dafür (Danke @boerseonline).

Österreichische Aktien unterbewertet und immernoch auf dem April 2020 Niveau verharrend? Hmm… Das deckte sich mit meinen Empfindungen bezüglich der zu niedrigen Kursbewertungen meiner Lieblinge EVN und Agrana, die, obwohl sie für 2020 Gewinne on par mit 2019 in Aussicht stellen, weiterhin unter Buchwert gehandelt werden. Schwupps also entstand die Idee, in den nächstbesten Aktienfinder folgende Parameter einzutickern: „Land Österreich; KBV unter 1; Gewinn 2019 größer als 0; EK-Quote über 30%“.

In einer Ergebnisliste von sage und schreibe 7 (in Worten: sieben) Kandidaten fand ich zum Einen, wie erwartet, die EVN AG, dann ein paar Banken, von denen ich NATÜRLICH die Finger lasse und zum Anderen aber: die Strabag SE! Was könnte realer, anfassbarer, greifbarer und konträrer zum aktuellen Marktgeschehen sein, als einer der größten europäischen „Bautechnologiekonzerne“? Und voilá: die Saat für den heutigen Artikel war gesät…

Strabag Geschäft

Mit weltweit rund 75.000 Mitarbeitern leistet die Strabag SE alles, was ich mir unter einem Baudienstleister vorstellen würde: Hoch- & Tief-, Tunnel-, Autobahn-, Bahntrassen-, Straßen-, Kraftwerk-, „und so weiter uns so fort (siehe hier)“ -bau sowie alle mit der Immobilienentwicklung verbundenen Services (Planung, Ausschreibung, Durchführung, Verwaltung etc.). Die Hauptgeschäftsregion hierfür ist Europa (insbesondere Deutschland), aber es gibt auch vereinzelte Projekte auf anderen Kontinenten.

Logo der Strabag SE

In der aktuellen Unternehmenspräsentation (ab Slide 13) identifiziert die Strabag fünf europäische Zukunftstrends, die das Business des Konzerns in den nächsten 10 Jahre treiben werden:

  1. Weitere Urbanisierung und der „Bundesverkehrswegeplan 2030
  2. Energiewirtschaft und Nachhaltigkeit gemäß „EU Climate & Energy Framework 2030
  3. Die Null-Zins-Politik der EZB treibt das Baugeschäft weiter
  4. Osteuropa hat noch viel wirtschaftlichen, infrastrukturellen Nachholbedarf im Vergleich zum Rest Europas
  5. Die Digitalisierung, die sich in der Baubranche noch nicht so durchgesetzt hat, wie in anderen Branchen, und daher erhebliches Produktivitätssteigerungspotential besitzt

Ich bin kein Handwerker oder Bauunternehmer und habe daher wenn überhaupt nur im Ansatz eine Vorstellung davon was es bedeutet, eine Großbaustelle wie zum Beispiel „Stuttgart 21“ zu managen und durchzuziehen. Schon gar nicht will ich mir anmaßen, die unvorstellbar komplexen Mensch-, Maschinen- und Materialströme zu überblicken, die europaweite Großprojekte mit sich bringen. Daher nun schnell weiter zu den mir etwas bekannteren Gefilden der Finanzkennzahlen.

Bilanz

Die Strabag SE hat eine eigene „Finanzkennzahlen“-Website, auf der man fröhlich mit den bekanntesten Werten von 2007 bis 2019 herumspielen und sie vergleichen kann. Wenn man sich geschickt anstellt erkennt man, dass die EK-Quote seit 2008 (also auch durch die Finanzkrise hindurch) konstant über 30% lag. Die kurzfristigen Vermögenswerte lagen seit 2006 immer circa 1.000 Mio. Euro über den kurzfristigen Schulden, was für eine weitsichtige Finanzierungspolitik spricht.

Von 2007 bis 2019 ist die Bilanzsumme von 7.700 Mio. Euro auf 12.250 Mio. Euro angestiegen, was bei einer gleichbleibenden EK-Quote (siehe oben) beachtlich ist. Das Eigenkapital (Buchwert) je Aktie (nach Minderheiten) beträgt zum Ende des Geschäftsjahres 2019 rund 34,75 Euro, der Kurs der Strabag-Aktie aktuell um die 25 Euro.

Wem gehört dieses Eigenkapital nun eigentlich? Die Aktionärsstruktur der SE zeigt einen Freefloat von nur 13,5%, während der Strabag Konzern selbst noch weitere 6,7% der Aktien sein Eigen nennt. Die restlichen knapp 80% der Aktien werde von mehreren Haupteignern über einen Syndikatsvertrag verwaltet, der allerdings im Jahr 2022 ausläuft (was danach ist, steht noch nicht fest). In Bezug auf die 6,7% eigene Aktien möchte ich noch erwähnen, dass im Jahr 2016 vier Millionen eigene Aktien eingezogen wurden, um somit die Anzahl ausstehender Aktien zu reduzieren („non-Cash-Dividende“ nenne ich das Mal).

Umsatz & Gewinn

Wie es für Auftragnehmer öffentlicher und privater (Groß)-Bauprojekte üblich scheint, liegt zwischen Beauftragung, Baubeginn und Fertigstellung oftmals ein beträchtlicher Zeitraum (#BER). Daher ist es beim Umsatz der Strabag relevant zu wissen, dass es einen Leistungsoutput gibt, der quasi das Projektvolumen darstellt, und daneben ein „Auftragsbacklog“ von noch nicht geleisteten Aufträgen. Mit etwas intuitivem Talent bewaffnet kann auf der oben genannten „Finanzkennzahlen“-Website abgelesen werden, dass sich Backlog und jährlicher Leistungsoutput im Mehrjahresdurchschnitt oftmals die Waage halten (Klar! Was soll ich „outputten“, wenn nix beauftragt ist).

Während der Finanzkrise 2008/2009 (wenn sich nach Corona überhaupt noch jemand daran orientieren möchte) ist der Leistungsoutput leicht gefallen, der Backlog stieg jedoch an. Über 12 Jahre allerdings ist der jährliche Output der Strabag SE insgesamt von 10.700 Mio. Euro auf 16.600 Mio. Euro angestiegen. Dies ist, aus meiner Sicht ein guter Indikator für die Krisenfestigkeit des Unternehmens, denn auch während der Corona-Zeit dürfte der Output gefallen, der Backlog allerdings gestiegen sein, weil ja Tätigkeiten und Projektpläne („im Einverständnis mit dem Auftraggeber„) eingefroren wurden.

Wenn ich das EBITDA mal als „operativen Gewinn“ interpretiere, dann liegt die „operative Marge 2019“ lt. Unternehmenspräsentation bei 7,1%. Nach Abschreibung bleibt dann noch eine EBIT-Marge von 3,8%, für die aber im Jahre 2022 glatte 4% angepeilt wird. Ganz allgemein muss ich sagen, dass mir diese Marge ziemlich „eng“ vorkommt, auch wenn sie über die letzten Jahre kontinuierlich gesteigert wurde. Große Sprünge in Bezug auf Umsatz, Gewinn und Margen sind mit der Strabag SE wohl nicht zu erwarten.

In den Jahren 2011 bis 2019 erzielte die Strabag einen durchschnittlichen Gewinn je Aktie von 2,08 Euro. Dies entspricht, bei aktuellem Kurs, einem retrospektiven Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12. In Bezug auf den im Geschäftsbericht 2019 ausgewiesenen Gewinn je Aktie von 3,62 Euro läge das KGV bei rund 7.

Dividende

Die durchschnittliche Dividende der letzten 9 vollen Geschäftsjahre beträgt 0,76 Euro, die durchschnittliche Ausschüttungsquote also 36%, was auch der immer noch aktuellen Dividendenpolitik, jedes Jahr zwischen 30% und 50% des Gewinns je Aktie auszuschütten, entspricht (für das Geschäftsjahr 2019 komme ich gleich noch auf eine „Sondersituation“ zu sprechen). Auf Basis des 9-Jahresschnitts der letzten Jahre und dem aktuellen Kurs von 25 Euro ergibt sich eine Dividendenrendite von 3% (inkl. österreichischer Quellensteuer: 2,2%).

Die Dividende für 2019 wurde auf der 2020er Hauptversammlung im Juni auf 0,90 Euro festgelegt und rentiert beim aktuellen Kurs mit 3,6% (inkl. österreichischer Quellensteuer 2,6%). Und hier bin ich auf eine interessante Situation gestoßen. Die HV fand, wie erwähnt, im Juni 2020 statt. Der Ex-Dividendentag ist der 26.11.20, der Dividendenzahltag der 30.11.20. So einen großen zeitlichen Abstand zwischen HV und Ex-Dividendentag habe ich noch nirgends gesehen, aber Corona macht es möglich.

Dividenden-Showstopper?

Die Dividende hat noch ein weiteres Feature; sie wird nur gezahlt, wenn folgende Bedingung am 25.11.2020 erfüllt ist:

Der Anspruch auf die Dividende und die Auszahlung stehen unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Gesamtsumme der liquiden Mittel der Gesellschaft sowie aller von ihr gemäß den anwendbaren Internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS/IAS) vollkonsolidierten Unternehmen zuzüglich vertraglich zugesagter, aber nicht ausgenutzter Kredite zum Stichtag 31.10.2020 auch bei Auszahlung der Dividende den Betrag von € 1 Mrd. nicht unterschreitet. […]

Die Gesellschaft wird bis zum 25.11.2020 eine Bestätigung der KPMG Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Linz, zur Gesamtsumme der liquiden Mittel zuzüglich vertraglich zugesagter, aber nicht ausgenutzter Kredite zum Stichtag 31.10.2020 einholen und bekanntgeben, ob die oben angeführte Bedingung erfüllt ist (ergänzende Dividendenbekanntmachung).

Dividendenbekanntmachung Strabag SE (2020)

Das nenne ich mal ein Corona-Cash-Management! Respekt! Das Jahr 2019 war ein Rekordjahr, aber in den Dividendenvorschlag für 2019, der am 29.04.2020 veröffentlicht wurde, baut man diese auf das Cash im Unternehmen bedachte Klausel ein. Wie wahrscheinlich ist es nun, dass die 0,90 Euro auch wirklich fließen?

Ende 2019 betrug der Cash-Bestand lt. Unternehmenspräsentation etwa 1.144 Mio. Euro, nachdem man für 2018 eine Dividende von 1,30 Euro ausgeschüttet hatte (Ausschüttungssumme ohne eigene Aktien rund 133,4 Mio. Euro). Wie wahrscheinlich es nun ist, dass die für 2019 avisierte Ausschüttungssumme von etwa 92,3 Mio. Euro ausgeschüttet werden kann, muss jeder selbst einschätzen. Ich denke, es sieht gut aus.

Zusammenfassung

Offensichtlich gibt es für die Quartalszahlen der Strabag SE keine detaillierten Finanzberichte, sondern nur einen „One-Pager„, der einen groben Überblick über den Geschäftsverlauf gibt. Für Q1/2020 steht dort, dass die Mitarbeiterzahl durch Corona und abgeschlossene Projekte auf unter 74.000 gefallen ist, der Leistungsoutput ebenfalls sank, aber der Backlog entsprechend anstieg. Alles also irgendwie wie erwartet. Die prognostizierte EBIT-Marge für das aktuelle Geschäftsjahr wird trotz des Lockdowns bei 3,5% gehalten.

So! Kommen wir nun zur eigentlichen Frage: Sind 25 Euro je Aktie ein guter Preis für die Strabag SE? Ich meine ja. Der Buchwert allein bietet eine erhebliche Sicherheitsmarge zum aktuellen Kurs, das Unternehmen wird früher oder später seinen Backlog abarbeiten wollen/müssen und der vorsichtige Dividendenvorschlag für 2019 zeugt von einem besonnenen Management, das scheinbar von ebenso ruhigen und weitsichtigen Hauptanteilseignern getragen wird.

Auch als Bau-Laie erlaube ich mir heute also, den inneren Wert der Aktie zu taxieren. Bei einem mit Sicherheitsmarge versehenen Buchwert von 30 Euro und einem auf 5 Jahre prognostizierten Gewinn von 1,90 Euro je Aktie sehe ich den Wert der Aktie bei um die 40 Euro. Unternehmen der Baubranche sind erfahrungsgemäß Zykliker, sodass deren Gewinne mit Wirtschaftsauf- und -abschwüngen pendeln. Dennoch investiere ich lieber in einen unterbewerteten Zykliker mit bewiesenem Know-How, Netzwerk und starker Marktstellung, als der #FAAMG-Herde nachzulaufen (Stichwort Konformität).

Jeder wie er mag und daher allen Lesern viel Erfolg!

5 Kommentare

  1. Matthias Schober

    Die schlechte Bewertung des ATX ist geradezu legendär, natürlich ist er auch extrem banklastig gewichtet.

    Vielleicht wäre auch Frequentis einen Blick wert

    • Vincent Bouvier

      Hallo Matthias,

      Frequentis kannte ich vorher nicht und habe direkt mal nachgesehen. Leider muss ich aber zugeben, dass ich bei den Geschäftsfeldern „Airport/AirTravel“ sowie „Defence“ meine Lektüre abgebrochen habe, weil ich intuitiv nicht möchte, dass dies beides „Wachstumsfelder“ sind. Ganz einfach aus persönlich-menschlicher Sicht. Das ist sehr oberflächlich, ich weiß, nur ist das bei mir eben so. 🙂

      Viele Grüße

      V. Bouvier

  2. Kai

    Super analysiert und ich mag es, dass du am Ende zu einem Fair Value kommst. Denke auch, dass die FAANG-Aktien etwas zu heiß gelaufen sind. Früher waren es die Öl-Unternehmen, heute die Hochdividendentitel und Tech-Unternehmen (und Bitcoin und Gold 😀 ).

    Ich habe für Sonntag schon meine erste Analyse zu ExxonMobil fertiggestellt, in der ich ebenfalls am Ende einen FV nach DCF- und Übergewinnverfahren abgebe. Würde mich freuen, wenn du dort auch dein Feedback da lässt, da ich deine Analyse echt gut fand 🙂

    LG Kai

    • Vincent Bouvier

      Hallo Kai,

      na klaro. Wenn du mein Feedback haben möchtest, dann bekommst du das auch.

      Viele Grüße

      V. Bouvier

  3. Erik

    Danke für die Recherche zu Strabag, ich habe diesen Titel auch schon länger als Value in meinem Portfolio, sehr interessant wäre jetzt natürlich eine Analyse zum deutschen Pendant- Hochtief, auch mit stattlicher Dividende und unterbewertet?

    Gruß Erik

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