Als mitteleuropäischer Investor sträube ich mich normalerweise davor in Unternehmen zu investieren, die ihre Preise und Umsätze nicht in „meiner“ Heimatwährung gestalten und erzielen. Ich bilde mir ein, dass ich auf diese Weise meinen Investment-Value kalkulier- und planbarer halte, weil ich mich eben nicht mit Wechselkursen sowie deren Schwankungen befassen muss. Im Falle der Gazprom kommt noch erschwerend hinzu, dass ich, wenn ich die deutschsprachigen Pressestimmen zu russischen Unternehmen und zur russischen Politik ohne Weiteres für glaubwürdig hielte, eigentlich allem Russischen den Rücken kehren müsste und auf gar keinen Fall ein Investment in diesem Land in Erwägung ziehen dürfte (Stichwörter: Sanktionen, Oligarchen, Mafia und vor allen Dingen PUTIN!!!).
Nun bin ich als Value-Investor per se aber ein Anti-Zykliker und mich kann sowieso niemand dazu zwingen, Geld in in Aktien von Gazprom zu investieren. Aber ebenso kann mich nichts davon abhalten, die mir zur Verfügung stehenden Informationen zum Unternehmen zu analysieren und mir einen darüber Meinung zu bilden. Auf geht’s also!
Politische Situation
Es ist sicherlich ungewohnt, einen Value-Investment-Artikel mit dem Thema Politik zu beginnen, denn für Unternehmen der Euro-Zone nehme ich eine politisch-wirtschaftlich stabile Situation gern als gegeben hin. Für Russland allerdings will ich mich nicht auf das verlassen, was mir tagtäglich in Funk, Print und Fernsehen vermittelt werden soll, bin also gezwungen, genauer hinzusehen (Stichwort: Due Diligence).
Nachdem die Sowjetunion Anfang der 90er Jahre zerfallen war, die einzelnen Länder der Union ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, blieb im Kern die Russische Föderation, das heutige Russland, als Rechtsnachfolger sozusagen, übrig. Es gibt genügend Artikel, Bücher und Meinungen zu den Ereignissen, politischen Abläufen in dieser Zeit, aber Fakt ist und bleibt, dass es der russischen Bevölkerung in den Jahren nach dem Zerfall extrem schlecht ging (Stichwort: Schock-Strategie). Es war paradox: dieses riesige, rohstoffreiche Land, war, nachdem die „freie Marktwirtschaft“ doch endlich die so „böse“ Planwirtschaft abgelöst hatte, nicht in der Lage, die Lebensbedingungen seiner eigenen Bevölkerung auskömmlich zu gestalten. Die russischen Erfahrungen in dieser Zeit zu kennen ist eine essentielle Voraussetzung dafür, das politische Handeln und die Motivation der russischen Seele, vertreten durch die Person Vladimir Putins, in den 2000er Jahren ff. verstehen. Dem Leser lege ich für dieses Verständnis und als Gegenpol zur allgemeinen, deutschen Pressestimme die Texte/Bücher Thomas Röpers ans Herz.
Kurzum: die Russische Förderation (Russland) ist auch heute noch ein aus vielen einzelnen Ethnien und voneinander verschiedenen Förderationskreisen bestehender Vielvölkerstaat. Putin hat es in den zurückliegenden fast 20 Jahren insgesamt geschafft, die Lebensbedingungen für einen großen Teil der Bevölkerung zu verbessern. Dies gelang ihm mit sachlichen politischen Entscheidungen und weitsichtigem Handeln auch auf globaler Ebene, das natürlich immer die russischen Interessen mit berücksichtigte, aber zuvorderst auf internationale Partnerschaften unter dem rechtlichen Dach des Völkerbundes setzte. Seine Rede vor dem deutschen Bundestag im Jahre 2001 beinhaltete damals schon seine Strategien und Visionen für einen gemeinsamen eurasischen Wirtschaftsraum, ein „Europa von Lissabon bis Vladiwostok„; Freihandel, Zusammenarbeit und Verständigung. Mit neuem Nachdruck versehen ist diese Vision auch heute noch der Kern der Reden Putins. Diese, seine Vision impliziert, dass Putin, soll sein Land ökonomisch prosperieren können, in Russland für Rechts- und Investitionssicherheit sorgen muss.
Für den weiteren Verlauf meiner Value-Analyse gehe ich also davon aus, dass es im Vergleich zu Japan, China oder Brasilien nicht per se gefährlicher für mein Geld wäre, in Russland investiert zu sein. Die Rechtssysteme, die Sprachen all dieser Länder sind mir fremd und ich werde wahrscheinlich niemals an einer Hauptversammlung („General Shareholder Meeting“) der Unternehmen aus diesen Ländern teilnehmen.
Unternehmensform Gazprom
Die Publitschnoje Akzionernoje Obschtschest (PAO) Gazprom ist eine öffentliche Aktiengesellschaft nach russischem Recht. Leider kann ich kein russisch verstehen, aber in Bezug auf die Haftung eines Aktionärs einer PAO übersetzt Wikipedia für mich folgendes:
Grundsätzlich ist die Haftung auf das Vermögen der Aktiengesellschaft beschränkt. Ist die Insolvenz der Aktiengesellschaft jedoch durch das Handeln oder Unterlassen der Aktionäre oder anderer Personen, die berechtigt sind, im Namen der Gesellschaft zu handeln, hervorgerufen und das Vermögen der Gesellschaft genügt nicht, um die Schulden der Gesellschaft zu bedienen, so können auch diese (natürlichen) Personen zur Verantwortung gezogen werden.
Wikipedia zitiert und übersetzt Artikel 3 des russischen Aktiengesetzes
Im deutschen Aktiengesetz finde ich so einen Passus nur in Bezug auf die Vermischung von Aktionärs- und Gesellschaftskapital bzw. beim Empfang verbotener Leistungen. In Bezug auf Gazprom werde ich selbst mit einer Million Aktien nicht in die Verlegenheit kommen, die Geschicke des Unternehmens zu bestimmen, denke ich, und somit auch nicht haftbar gemacht werden können. Insbesondere der Russische Staat mit knapp über 50% der Aktien der Gazprom bestärken mich in meiner Annahme, dass immer klar sein wird, wer dort das Sagen hat. In diesem Zusammenhang finde ich diese Tatsache übrigens nicht verwerflich. Ein für Russland so wichtiges Unternehmen mit einem 100%igen Freefloat laufen zu lassen, wäre lebensmüde. Darüber hinaus ist diese Art der staatlichen Kontrolle auch im westlichen Europa gang und gäbe (siehe VW und Niedersachsen oder EVN und Niederösterreich). Die Verwaltungsstruktur mit „General Shareholder Meeting“ (oberste Instanz), „Board of Directors“ (gewählt von der obersten Instanz) und den „Executive bodies“ (ernannt vom Board of Directors) orientiert sich aus meiner Sicht an den westlichen Aktiengesellschaften.
Ich gehe somit bei der Unternehmensform ebenfalls davon aus, dass es keine relevanten Details oder Gefahren für mein Geld gibt, wenn es sich für ein Gazprom-Engagement entscheidet.
Corporate Governance
Nun wird es etwas konkreter. Worin sieht Gazprom sein Business und was bedeutet das für die Aktionäre bzw. woran kann ein Aktionär erkennen, woran sich Gazprom auszurichten hat?
Gazprom is a global energy company focused on geological exploration, production, transportation, storage, processing and sales of gas, gas condensate and oil, sales of gas as a vehicle fuel, as well as generation and marketing of heat and electric power.
About Gazprom Webseite
So weit, so allgemein. Aber wie, nach welchen Richtlinien soll das Geschäftsgebahren richten? Ein für das Verständnis dieses Gebahrens, der Asset- und Dividendenpolitik, der Rechte und Pflichten des Unternehmens unabdingbares Dokument sind die „Articles of Association of Public Joint Stock Company Gazprom“. Das Dokument in Gänze zu erläutern würde den Leser sicherlich langweilen, weshalb ich hier nur „ein paar“ aus meiner Sicht wichtige Punkte erwähnen möchte.
- Artikel 1.2: Gründer der Gesellschaft ist die russische Förderation
- Artikel 2.2: Hauptsitz der Gesellschaft ist Moskau, Russland
- Artikel 3 empfehle ich in Gänze eigenständig zu lesen, weil hier quasi „der Auftrag“ des Unternehmens definiert wird
- Artiel 4 ff: Die Gesellschaft ist eigenständig (deutsches Pendant: eine juristische Person) und hat eigenes Vermögen, kann klagen und verklagt werden etc.
- Artikel 5.1: Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt 118.367.564.500 Rubel und ist in 23.673.512.900 Aktien zu je 5 Rubel aufgeteilt
- Artikel 5.2: Das Grundkapital wurde vom Gründer der Gesellschaft (siehe Artikel 1.2) eingebracht (Details dazu siehe Originaldokument)
- Artikel 6.4: Aktionäre haben das Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung, das Recht zum Bezug einer Dividende und im Falle eine Liquidation des Unternehmens ein Recht auf einen Anteil am Vermögen der Gesellschaft
- Artikel 7.1: Die Gesellschaft soll einen „Überschussfonds“ in Höhe von 7,3% des Grundkapitals durch die Einbehaltung von 7,3% des jährlichen Überschusses aufbauen; dieser „Überschussfonds“ darf dann nur dazu verwendet werden Verluste aufzufangen, Gläubiger zu befriedigen oder Eigentümer (Aktionäre) auszuzahlen (Aktien einzuziehen)
- Artikel 7.2: Die Gesellschaft soll einen weiteren Fonds aus seinem Überschuss generieren, der speziell für ein Mitarbeiter-Aktien-Kaufprogramm bestimmt ist; dieser Fonds kauft Aktien am freien Markt, die danach nur für dieses Kaufprogramm bestimmt sind; wenn dieser Fonds Aktien verkauft, fließen auch diese Veräußerungserlöse wieder nur diesem Fonds zu
- Artikel 12 betrifft die Dividendenpolitik und ist wieder sehr umfangreich, daher empfehle ich dem Leser eine eigenständige Lektüre
Meine obigen Auszüge aus dem spiegeln bei Weitem nicht die Fülle der Informationen wieder. Wenn ich aber einen Vergleich zu einer deutschen Aktiengesellschaft ziehen müsste, dann sind diese „Articles of Association“ das, was hierzulande eine Satzung ist. Als Essenz bleibt bei mir hängen, dass es ziemlich intensive Regeln zu beachten gibt, bevor überhaupt eine Dividende fließen kann. Wie attraktiv das in der Vergangenheit für einen Value-Investor war, werden wir spätestens bei den Finanzkennzahlen sehen.
Der Umfang dieses Beitrages und die Fülle an zu verarbeitenden Informationen möchte ich an dieser Stelle für den Leser und mich eine Halbzeit bei die Value-Analyse der PAO Gazprom einlegen. Der zweite Teil folgt demnächst…
– Fin –
0 Kommentare
1 Pingback