Value & Price

Sicherheitsmarge „live“ #2

In meinem ersten dedizierten Artikel über die Notwendigkeit der Sicherheitsmarge á la Benjamin Graham demonstrierte ich, wie ich dieses Werkzeug in meinen Entscheidungsprozess für Investments einfließen lasse. Für meinen heutigen Artikel zur Sicherheitsmarge wurde ich von Jonathan Neuscheler, Mitgründer der Investment-Webseite AlleAktien.de sowie bekennender Value-Investor, und seiner Artikelserie über die Fresenius Aktie inspiriert.

Anhand der Fresenius-Aktie und Neuschelers Analyse möchte ich demonstrieren, dass die Berücksichtigung einer Sicherheitsmarge bei Investmententscheidungen notwendig ist und wie sich Risiken bei Investitionen in sogenannte Dividendenaristokraten/Qualitätsaktien mit Hilfe der Sicherheitsmarge vermeiden lassen.

Unternehmensanalyse Fresenius

Neuschelers Fresenius-Unternehmensanalyse (Link dazu hier) ist sehr umfangreich und detailliert. Auf Basis eines Aktienkurses von 60 Euro je Aktie im Dezember 2017 erörtert er die Qualität unter den Aspekten Geschäftsmodell (Sparten, Kunden, Wettbewerb, Management, Strategie etc.), Bewertung (Umsatz, Gewinne, Dividenden, Rentabilität etc.) und etwaigen Risiken.

Sein Fazit lautet, dass er langfristig jährliche Aktienrenditen von 10-14% erwartet, Fresenius ein „Fast Grower“ á la Peter Lynch sei, bei dem man „am besten sofort“ zugreifen solle, und dass der Kurs von 60 Euro eine „Kaufchance mit Rabatt für langfristige agierende Marktteilnehmer“ böte.

In einem darauffolgenden Artikel aus dem November 2018, dessen Titel mit dem Wort „Nachkaufalarm“ beginnt, nennt Neuscheler vier Gründe dafür, warum die Aktie nun nur noch bei 53 Euro steht: (allgemeine Aktienmarktkorrektur, ein fehlgeschlagener Übernahmeversuch eines Wettbewerbers in den USA, Gewinnwarnung der Tochter Fresenius Medical Care, schlechte Zahlen aus Q3/2018). Sein Fazit lautet:

Wir erkennen im deutlichen Kursrückgang eine Kaufchance für langfristige Investoren. Die Bewertung ist attraktiv, die langfristigen Aussichten sind gut. Die Geschäftsentwicklung ist nicht konjunkturabhängig. Die Wachstumsstory dürfte weitergehen und die Fresenius-Aktie in 10 Jahren deutlich höher stehen.

Jonathan Neuscheler, „Nachkaufalarm: Fresenius Aktie kaufen?“

Der Aktienkurs von 60 Euro war für Neuscheler schon attraktiv, demzufolge ist der Kurs von 53 Euro natürlich noch attraktiver.

Attraktive Bewertung?

Ich möchte hier nun meine Einschätzung zur Bewertung der Fresenius-Aktie zum besten geben und anschließend eine Aussage darüber treffen, ob dieses Wertpapier heute, beim Kurs von unter 50 Euro, ein gutes Value-Investment mit Sicherheitsmarge ist.

Auf Basis der Bilanz des Q3/2018-Berichtes ergibt sich ein Eigenkapital/Buchwert pro Aktie von etwa 26,72 Euro. Die Fremdkapitalquote sowie die Anteile nicht-beherrschender Gesellschafter sind in der Tat sehr hoch. Das Eigenkapital aller Gesellschafter insgesamt beträgt circa 43%. Die EK-Quote für die Aktieninhaber beträgt hingegen nur 26,6%.

Wie Neuscheler richtig bemerkt, sind Umsatz, Gewinn und Dividende der Fresenius in den letzten 10 Jahren konstant gewachsen, also auch während der Finanzkrise 2008/09. Dies spricht für ein krisenfestes Geschäftsmodell. Der durchschnittliche Gewinn der letzten 7 Jahre beträgt 2,56 Euro je Aktie, wobei es zu beachten gilt, dass ein signifikanter Teil des Gewinnwachstums der letzten Jahre durch Akquisition und nicht ausschließlich durch organisches Wachstum generiert worden ist. Auf Basis dieses Durchschnittsgewinns ergibt sich beim aktuellen Kurs ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 18,75.

Innerer Wert der Aktie

Kein Unternehmen wächst für immer und schon gar nicht konstant. Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich ebenso für Umsätze und Gewinne. Darüber hinaus gilt aus meiner Sicht ein weiterer Grundsatz: Unternehmen, die starke Wachstumszahlen demonstriert haben, gelangen natürlicherweise irgendwann in einen Sättigungsbereich, der zwar weiter starke Gewinne abwerfen kann, der aber dann keine hohen Wachstumsraten mehr zulässt.

Aus diesem Grund ist es aus meiner Sicht sehr riskant, die Wachstumszahlen der Vergangenheit, einfach eins-zu-eins auf die nächsten Jahre anzuwenden und somit die Gewinne und Rentabilitäten zu extrapolieren, wie Neuscheler es tut.

Der Buchwert der Fresenius-Aktie beträgt 27 Euro und nun beginne ich für die Berechnung des inneren Wertes der Aktie meine Sicherheitsmarge einzubauen. Für die nächsten 8 Jahre gehe ich nicht von steigenden oder von weiteren jährlichen Gewinnen pro Aktie von 2,56 Euro aus, sondern eher von 1,79 Euro je Aktie (70%). Zusammen mit dem Buchwert ergibt dies einen inneren Wert von (27 + 8 * 1,79) genau 41,32 Euro.

Ich habe mich bewusst auf zwei Dinge konzentriert: (a) Was ist das Unternehmen aktuell wert (Bilanz)? (b) Was kann ich pessimtisch-vernünftigerweise an zukünftigen Gewinnzuflüssen über die nächsten Jahre erwarten? Mehr ist im Kern erst einmal nicht notwendig, um eine grobe Schätzung des heutigen, aktuellen inneren Wertes zu erhalten; keine Geschichten, keine Kursfantasien, keine Risiken, keine Zukunftsrenditen!

Resümee

Ohne Zweifel hat Fresenius in der Vergangenheit eine beeindruckende Gewinnentwicklung bewiesen. Gesundheitsdienstleister und MedTech-Unternehmen werden wohl auch in der Zukunft immer gebraucht und somit attraktiv bleiben. Auch ohne den „AlleAktien Qualitätsscore“ berechnen zu können ist offensichtlich, dass Fresenius eine Qualitätsaktie ist.

Leider ist aber der Kauf eines Qualitätsunternehmens zu einem schlechten Preis kein gutes Investment. Im Einkauf liegt auch bei Aktien der Gewinn! Das Abrutschen des Fresenius-Aktienkurses von 70 Euro auf unter 50 Euro beweist, dass es oberhalb des inneren Wertes einer Aktie nur Fantasien und Spekulationen geben kann, die sich eben in steigenden oder fallenden Preisen niederschlagen. Mr. Market treibt sein Spiel, wer die beste Geschichte erzählt, macht die Kurse (Stichwort: Storytelling).

Hätte ich mich, wie Neuscheler vorschlägt, bereits bei 60 Euro für die Aktie entschieden, dann, wie er weiter vorschlägt, bei 55 Euro und 50 Euro nachgekauft, wäre ich mit meinem Einstiegskurs immer noch weit über dem inneren Wert der Aktie und davon abhängig, dass meine Schätzungen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens/der Aktie eintreffen. Es gibt schlicht keinen vernünftigen Grund dafür, warum das Unternehmen bei 60, 55 oder 50 Euro attraktiv sein soll, außer Neuschelers Rentabiliäts- und Gewinnschätzungen für die Zukunft. Eine Basis für Nächte ruhigen Schlafens ist das aus meiner Sicht nicht.

Daher ist es für einen Value-Investor essentiell, den inneren Wert einer Aktie unter Berücksichtigung der Sicherheitsmarge zu berechnen, diesen Wert als Ankerpunkt zu nehmen und darauf die Investmententscheidung zu basieren. Solange der Kurs sich unter diesem Ankerpunkt befindet vergrößert jedes Nachkaufen die Sicherheitsmarge, verringert also das Risiko des Investments.

Bei 48 Euro (März 2019) bietet Fresenius keinerlei Sicherheitsmarge, ist nicht attraktiv bewertet, auch wenn der Kurs bereits mehr als 45% unter seinem Allzeithoch liegt, und daher momentan kein gutes Value-Investement.


AlleAktien.de-Unternehmensanalyse (Neuscheler): https://www.alleaktien.de/unternehmensanalyse-fresenius-ist-die-grosse-erfolgsgeschichte-auch-nach-dem-25-ruecksetzer-noch-intakt/

AlleAktien.de „Nachkaufalarm: Fresenius Aktie kaufen?“ (Neuscheler): https://www.alleaktien.de/nachkaufalarm-fresenius-aktie-kaufen-wkn-578560/

AlleAktien.de „AAQS für Fresenius“: https://www.alleaktien.de/fresenius-aktie-kaufen-diese-qualitaetsaktie-gibt-es-zu-einem-fairen-preis/

Quartalsfinanzbericht Q3/2018 Fresenius: https://www.fresenius.de/financial_reporting/FSE_qb3_2018_IFRS_d.pdf

3 Kommentare

  1. Martin

    Hallo Vincent,
    vielen Dank für diesen informativen Blog. Ich habe ihn erst vor Kurzem entdeckt, aber in den letzten Wochen bereits fast alle Artikel aus 2019 gelesen. Ich finde Deine pragmatische Herangehensweise sehr interessant und versuche mir als junger Investor etwas davon abzuschauen.

    Bei Deiner Berechnung des inneren Wertes drängen sich mir zwei Fragen auf. Zunächst versuche ich zu verstehen, welchen Zeitraum Du heranziehst, um ihn dann mit den von Dir sehr konservativ erwarteten Gewinne in diesem Zeitraum zu multiplizieren und zum Buchwert hinzu zu addieren. In diesem Beitrag zu Fresenius arbeitest Du mit einem Zeitraum von 8 Jahren, bei der Schloss Wachenheim AG waren es beispielsweise nur 3 Jahre. Beruht dies auf dem vermeintlich besser kalkulierbaren Geschäftsmodell von Fresenius oder woran liegt das?
    Weiterhin arbeitest Du generell mit nicht abgezinsten Gewinnen, hier würde mich interessieren, ob Du dies der Einfachheit halber machst oder auf welchen Annahmen, eventuell aus der Literatur, dies fußt.

    Ich würde mich über eine Antwort freuen, ebenso freue ich mich auf weitere Beiträge von Dir auf diesem Blog!

    Viele Grüße,
    Martin

    • Vincent Bouvier

      Hallo Martin,

      vielen Dank für deinen freundlichen Kommentar!

      Zum ersten: Bei der Betrachtung der zukünftig erwartbaren Gewinne gehe ich wirklich von meinem subjektiven Gefühl aus. Fresenius macht über 30.000 Mio. Euro Umsatz in der MedTech-Branche. Da habe ich einfach bei 8 Jahren ein gutes Schätz-Gefühl als bei einem Sekt- und Weinhersteller aus Trier, der einen Jahresumsatz von 300 Mio. Euro hat. Wirklich begründen kann ich das nicht, ich gehe nach meinem Bauch. Benjamin Graham gibt in seinem Buch „The Intelligent Investor / Intelligent investieren“ einen ungefähren Zeitraum vor, aber wirklich begründen kann er das auch nicht. Wer will schon mit Sicherheit die Zukunft voraussagen? Aus diesem Grund ist die Sicherheitsmarge eigentlich das einzige, wo man all diese Unsicherheiten einbauen kann.

      Zum zweiten: Ich zinse zukünftige Geldströme nicht ab, weil es im heutigen Zinsumfeld für mich einfach keine sichere Alternative für die Geldanlage mit Aktien gibt. Wenn ich das Geld auf einem Tagesgeldkonto liegen ließe, bekäme ich nichts dafür. Bei zukünftigen Zahlungsströmen durch Aktien bekomme ich wenigstens überhaupt einen Ertrag. Dass es die Berechnung des inneren Wertes ungleich einfacher gestaltet, ist ein Nebenaspekt. Ich muss das ganze Thema nicht unbedingt verkomplizieren, finde ich. Sollte es jedoch irgendwann mal wieder 5-8% Zinsen für das Sparbuch geben werde ich diese Ansicht sicherlich anpassen müssen.

      Viel Spaß weiterhin beim Lesen! 🙂

      Grüße

      Vincent

      • Martin

        Hallo Vincent,

        vielen Dank für die umgehende Antwort auf meine Fragen! Hat mir sehr geholfen.

        Viele Grüße
        Martin

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