In meinem Beitrag über Benjamin Graham erläuterte ich die Sicherheitsmarge und ihre enorme Bedeutung für mich als Value-Investor bereits schon einmal. Aus aktuellem Anlass möchte ich hier nun ein praktisches Beispiel aus meinem „Investment-Alltag“ schildern, bei dem die Sicherheitsmarge der zentrale Faktor in meiner Entscheidungsfindung, in meinem Entscheidungsprozess war.
Im Beispiel betrachte ich die Wacker Neuson SE, der ich im Februar in meiner Fundamentalanalyse einen inneren Wert von rund 21,50 Euro je Aktie zuschrieb. Diese Analyse möchte ich dem Leser vorab ans Herz legen, um die folgenden Ausführungen besser nachvollziehen zu können.
Vorgeschichte
Wie ich in meinem ersten Beitrag über die Wacker Neuson SE bereits erwähnte, verfolge ich dieses Unternehmen bereits seit mehreren Jahren und bin immer mal wieder als Eigentümer mit von der Partie. Am ersten Handelstag 2019 befand ich den Kurs von unter 17 Euro je Aktie für einfach zu niedrig und stieg wieder ein. Mein Einstiegskurs lag ziemlich genau auf dem Niveau, welches ich als bilanziellen Buchwert pro Aktie taxiert hatte und somit bestand meine Sicherheitsmarge aus allen Gewinnen, die mir im aktuellen und in allen folgenden Geschäftsjahren meiner Eigentümerschaft zufließen würden.
Auf 7 Jahre gesehen und von einem durchschnittlich erwarteten Gewinn je Aktie von 0,60 Euro ausgehend ergab sich für mich also der oben erwähnte innere Wert der Aktie von etwa 21,50 Euro. Die 9-Monatszahlen für das laufende Geschäftsjahr wiesen darüber hinaus sogar auf eine üppige Dividende hin, weil das Unternehmen ja eine nicht mehr benötigte Immobilie gewinnbringend veräußert hatte.
WAC Update – Geschäftsjahr 2018
Am letzten Donnerstag, dem 14.03.2019, erschienen also die beeindruckenden Zahlen für das Geschäftsjahr 2018: Umsatz steigt um 11%, das EBIT sogar um 22%, die EBIT-Marge verbessert sich damit auf 9,8%. Alle Regionen und Geschäftsbereiche tragen zu diesem Wachstum bei. Volle Leistung also!
Auf Basis dieser Zahlen ergibt sich ein Gewinn je Aktie von 2,06 Euro, bei dem allerdings die Sondereinnahmen aus dem Immobilienverkauf enthalten sind. Bereinigt um diesen Einmalertrag beträgt der Gewinn 1,41 Euro je Aktie (Vorjahr: 1,25 Euro). Dieser Gewinn ist die Grundlage für die Ausschüttung einer stabilen Dividende von 0,60 Euro/Aktie plus einer einmaligen Sonderdividende von 0,50 Euro/Aktie. Die Sonderdividende wurde allerdings bereits vor dem 14.03.19, nämlich am 11.03.19, per ad-hoc-Meldung angekündigt.
Die Ankündigung der Sonderdividende am 11. März erzeugte eine leicht positive Reaktion, der Kurs sprang von 19,50 Euro auf etwa 20,70 Euro. Als drei Tage später allerdings die vollständigen Zahlen veröffentlich wurden, sprang der Kurs von unter 21 Euro auf über 23 Euro. Diese Kursbewegung katapultierte das Unternehmen also weit über den von mir veranschlagten inneren Wert der Aktie.
Was sind meine Optionen?
Ich hatte nun das auf die Veröffentlichung folgende Wochenende lang Zeit, mir über meine Entscheidung bezüglich meines Aktienpakets der Wacker Neuson SE klar zu werden. Als Value-Investor widerstrebt es mir, mich im Januar für ein Unternehmen zu entscheiden und mich Mitte März wieder davon zu trennen. Aber Emotionen sollen meinen Verstand nicht beim Räsonieren hindern. Was sagen also die Zahlen?
Wie dem Langfristchart der Aktie der Wacker Neuson SE zu entnehmen ist, bewegte sich der Kurs in den letzten 10 Jahren im Bereich von 5 Euro in 2008 bis 33 Euro Ende 2017. Der Geschäftserfolg des Unternehmens verläuft zyklisch und wird von der Börse mit extremer Über- und Untertreibung aufgenommen, je nach Nachrichtenlage für die Bau- und Landwirtschaft; Mr. Market spielt also sein gewöhnliches Spiel und es kann gut sein, dass sich der Kurs auf Basis der neuesten Zahlen weiter Richtung 30 Euro bewegt (ich, traurig) oder sogar wieder abfällt (ich, weniger traurig). Aber als Value-Investor möchte ich über die zukünftige Kursentwicklung nicht spekulieren, sondern muss mir andere Zahlen ansehen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.
Bei einer Dividende von 1,10 Euro für 2018 und meinem Einstiegskurs von 17 Euro ergäbe sich für mich eine Dividendenrendite von 6,5%! Wenn ich allerdings sofort verkaufe, ergäbe sich für mich eine Aktienrendite, die sich ausschließlich aus Kursgewinnen speist, von knapp 35%!!
Entscheidung
Dass das Geschäftsjahr 2018 ein gutes werden würde, war anhand der Quartalsberichte absehbar. Demnach war auch der Kurs von unter 17 Euro zu Beginn des Jahres 2019 einfach viel zu niedrig und untertrieben. Ebenso bin ich der Meinung, dass die Reaktion der letzten Woche, der Kurssprung von über 12 %, übertrieben ist. Mein innerer Wert der Aktie der Wacker Neuson SE mit dem Blick auf die kommenden 7 Jahre liegt zwischen 21 Euro und 22 Euro.
Bei 23 Euro habe ich meine Aktenposition aufgelöst, sie verkauft. Ich bin beim Kauf im Januar 2019 davon ausgegangen, dass sich der Aktienkurs langsam über die Jahre mit den fließenden Gewinnen an meinen inneren Wert der Aktie anpassen wird und ich währenddessen die solide Dividende kassiere. Wenn der Kurs sich nicht angepasst hätte, dann wäre ich als Value-Investor auch mit den Dividenden allein auch zufrieden (siehe dazu auch den Artikel Value Trap)
Durch die Schreckhaftigkeit Mr. Markets wurde diese Entwicklung nun vorweggenommen. Ich muss nicht mehr darauf warten, dass er seine Untertreibung langsam erkennt, kann meinen Einsatz, den ich mit der Sicherheitsmarge abgesichert hatte, wieder vom Tisch nehmen und trage kein Risiko mehr; ob meine Berechnungen korrekt waren, kann ich nun von der „Seitenlinie“ aus betrachten.
Resümee
Meine Sicherheitsmarge bestand darin, dass ich die Aktie mit einem inneren Wert von 21,50 Euro zu 17 Euro das Stück erstehen konnte; den Euro für 79 Cent. Wäre der Kurs der Aktie weiter gefallen, hätte ich durch Nachkäufe dafür sorgen können, dass sich meine Sicherheitsmarge vergrößert (siehe Cost-Average-Effekt). Der Ankerpunkt für meine Sicherheitsmarge ist dabei immer der von mir ermittelte innere Wert der Aktie von 21,50 Euro; alles was darunter liegt ist für mich quasi eine mehr oder weniger starke Unterbewertung.
Natürlich sind die 21,50 Euro meine eigene, subjektive Einschätzung. Niemand wird mir sagen können, ob das richtig oder falsch war, weil eben zukunftsbezogene Elemente in die Berechnung eingeflossen sind. Aber gerade hier erfüllt die Sicherheitsmarge ihren Zweck. Sollte ich mich nämlich um ein, zwei oder gar drei Euro geirrt haben, dann läge ich mit 17 Euro Einstiegskurs immernoch unter dem Worst-Case von 18 Euro. Aus dieser Erläuterung ergibt sich für mich ferner, dass die Aktie bei 21,50 Euro kein Value-Investment mehr und bei 23 Euro sogar ein knapp spekulatives Investment ist, weshalb ich mich dann letztendlich davon getrennt habe.
Die Sicherheitsmarge ist und bliebt das beste Werkzeug des Value-Investors, weil es die eigene Fehlbarkeit in die Investitionsentscheidung einkalkuliert!
P. S.: Zu Illustration meiner eigenen Fehlbarkeit verweise ich hier ungern auf meine Südzucker-Story.
2 Menschen, 1 Gedanke. ….
Auch ich habe mich bei 23 Euro von Wacker Neuson getrennt und verzichte auf die kommende Gesamtausschüttung von 1,10 Euro (Divrendite unter 5%). Allerdings werde ich bei Kursen von knapp 21 Euro einsteigen, sofern dies vor dem Dividendentermin passiert und die Divrendite von dann 5,23% kassieren. …
Dann hätte ich nach der HV einen Einstandskurs von rund 3% und werde beobachten, ob die extrem gute Auftragslage erneut eine Dividende von mind. 0,60 Euro generiert.