Eine sehr beliebte Methode Mr. Markets, den Value Investor in seinen Bann zu ziehen, ist das „Storytelling“. In seinem Papier „7 Sünden des Fund Managements“ erläutert James Montier diese Methode als sechste Sünde, die es zu kennen und zu vermeiden gilt. Das „Storytelling“ geht sehr gern mit der ersten Sünde, dem „Forecasting“, einher. Daher lege ich dem Leser das oben referenzierte Papier bzw. meinen Artikel dazu hier noch einmal ans Herz.
Ich möchte in diesem Beitrag ein schönes Beispiel des Storytellings anhand eines Artikels über die BASF SE der aktuellen Ausgabe (März 2019) des Magazins „Capital – Wirtschaft ist Gesellschaft“ zeigen und sezieren. Mr. Market lauert an allen Ecken, will dir seine Story verkaufen und dich von deinem Value-Pfad abbringen. Sei also auf der Hut!
Definition
James Montier definiert die Sünde des Storytellings so:
For investors it appears that the story is the thing. In a rational world, we gather evidence, weight it and then decide. However, people rely on stories instead. We gather the evidence (in a biased fashion), construct a story to explain the evidence, and then match the story to a decision.
James Montier, „Seven sins of fund management„, Seite 81
Die Marktteilnehmer hören, lesen, sehen also Geschichten und sammeln dann Beweise dafür, dass die eine oder andere Geschichte stimmt, um im Anschluss ihre Investment-Entscheidungen darauf zu basieren. Im Sinne der Vollständigkeit dieses Beitrages möchte ich noch kurz Montiers Definition für die Sünde des „Forecasting“ anführen, um danach auf „Capital“-Artikel einzugehen.
An enormous amount of evidence suggests that we simply can’t forecast. The core root of this inability to forecast seems to lie in the fact that we all seem to be over-optimistic and over-confident. For instance, we’ve found that around 75% of fund managers think they are above average at their jobs! It doesn’t matter whether it is forecasting bonds, equities, earnings or pretty much anything else, we are simply far too sure about our ability to forecast the future.
James Montier, „Seven Sins of fund management“, Seite 3
Menschen im Allgemeinen sowie Investoren im Speziellen sind einfach wirklich schlecht darin, die Zukunft vorauszusagen, glauben aber fest, sie seien richtig gut darin. Dabei sind alle Arten von Voraussagungen gemeint: erwartete Gewinne, erwartete wirtschaftliche Entwicklungen, erwartete Ereignisse, erwartete Dauer der eigenen Ehe etc. Daher ist es natürlich zu recht verwunderlich, dass Investoren das Forecasting, also ihre Meinung über die Zukunft, überhaupt als Grundstein in ihre Investitionsentscheidung einbauen.
Beispiel des Storytelling
Normalerweise vermeide ich es, Wirtschaftsmagazine zu lesen. Nun betrug es sich aber, dass ich dazu gezwungen war, den ÖPNV zu benutzen und zufälligerweise hatte ein Mitreisender die März-2019-Ausgabe des „Capital“-Magazins auf dem Sitz, der meinem gegenüber lag, vergessen. Nun gut, für geschenkt werfe ich einen Blick auch in so ein Magazin, um mir die Zeit zu vertreiben. (Playboy-Magazine werden werden wenig bis kaum liegen gelassen, habe ich den Eindruck) Ein Artikel über die BASF SE (Seite 114 ff.), der den Titel „Schlechte Laborwerte“ trug, fesselte mich besonders und inspirierte mich zu diesem Artikel über das Storytelling.
Natürlich müssen Journalisten ihre Artikel so gestalten, dass sie Emotionen wecken und den Leser mit ihren Worten fesseln, denn sonst verkaufen sich die Texte nicht gut. Wie der Begriff Storytelling bereits impliziert, sind zusammenhängende und gut aufgebaute Geschichten der absolute Renner, werden vom Adressaten also lieber „abgekauft“, als Texte ohne dieses Feature.
Die pessimistische Stimmung und Richtung wird im gewählten BASF-Artikel gleich durch mehrere Aspekte sofort deutlich: den Titel „Schlechte Laborwerte“, den Untertitel „das Papier [sprich die BASF-Aktie; Anmerkung Bouvier] ist unter Druck – und eine schnelle Wende ist nicht in Sicht“ sowie das Titelbild vom Werk in Ludwigshafen mit der Beschreibung „Einst Vorzugsstandort, inzwischen problemgeplagt“.
Wenn man nun wie ich jemanden kennt, der BASF-Aktien hält, dann vermittelt die Aufmachung des Artikels bereits den Eindruck, derjenige sei falsch investiert. Oder? Anders herum ist derjenige, der keine Aktien der SE hält, doch fast schon froh darüber, nicht investiert zu sein. Oder? Das ist ziemlich heimtückisch von dir, Mr. Market! Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Artikel eine Tabelle enthält, die die Aktien- und Renditekennzahlen anderer Chemie-Unternehmen zeigt; im Vergleich zu denen, sei die BASF immernoch hoch bewertet, sagt Mr. Market.
Die Kennzahlen
Die Kennzahlen der o. g. Tabelle lauten KGV 2019 (geschätzt), Aktienrendite, Dividendenrendite 2019 (geschätzt), Eigenkapitalrendite und der Quotient Börsenwert zu operativem Gewinn. Die beiden geschätzten Kennzahlen ignoriere ich direkt, weil das nur geratene Momentaufnahmen der Zukunft sind, sie keine Aussage über langfristige Entwicklungen ermöglichen und ich mich auf das „Forecasten“ sowieso nicht einlassen möchte.
Die Eigenkapitalrendite der BASF SE ist tatsächlich die niedrigste in der Tabelle, aber das ist für mich nicht weiter relevant. Mit 10% EK-Rendite, der aktuellen Marktstellung der BASF, der Größe und bewiesenen Ertragskraft ist das Unternehmen trotzdem rentabel und solide. Ob da nun 10, 15 oder 20 Prozent stehen, ist für mich nicht ausschlaggebend.
Die Aktienrendite (Kursgewinne + Dividende geteilt durch den Einstiegskurs) ist für mich eine ziemlich willkürliche Kennzahl, mit der viel Schabernack getrieben werden kann. Die Autoren des Artikels betrachten die Aktienrendite über die letzten 5 Jahre, in denen die BASF nur negative 3% rentierte. Die Autoren Mr. Market nennen das dann die „verlorenen 5 Jahre“. Na mal sehen, das kann ich auch!
Wenn ich statt der 5 Jahre lieber 7 Jahre für die Berechnung ansetzen möchte komme ich auf eine Aktienrendite von 21,4% (inklusive der 5 „verlorenen“ Jahre also). Wenn mir dagegen nur 3 Jahre für meine Renditebetrachtung relevant erscheinen, also die letzten drei der 5 „Verlorenen“, dann komme ich auf eine Aktienrendite von 14,3%. Interessant oder? (für Details zu der Berechnung siehe Fußnoten (1) und (2)).
Mr. Market du trickreicher Lump! Mal von der Berechnung der Kennzahl abgesehen: Warum sollte ich die Aktie fiktiv wieder verkaufen, um diese Kennzahl überhaupt zu berechnen? Wenn sie aus meiner Sicht unterbewertet ist behalte ich sie doch und kassiere weiter die Dividende. Oder? (Besser ist aus meiner Sicht die Betrachtung des wirtschaftlichen Gewinns; hier sind nämlich auch einbehaltene Gewinne berücksichtigt).
Der Quotient aus Börsenwert und operativem Gewinn ist eine Kennzahl, die auf eine Unterbewertung hindeutet, je niedriger sie ist; je höher sie ist, desto schlechter/höher bewertet ist der Kurs des Unternehmens. Nun ja, was soll ich damit anfangen? In der Tabelle des Artikels ist die BASF SE Vorletzter bei dieser Kennzahl. Und nun? Die durchschnittliche Dividendenrendite über die letzten 10 Jahre zu einem Aktienkurs von 67 Euro (Stand: März 2019) beträgt 3,8%. Da ist auch während er Finanzkrise 2008/2009 echtes Geld in die Taschen der Aktionäre geflossen, während trotzdem noch Gewinne einbehalten und investiert wurden! So sieht eine relevante Kennzahl aus (siehe dazu auch meinen BASF-Artikel).
Das Storytelling ist besonders glaubwürdig und plausibel, wenn es mit Mathematik und Statistik unterfüttert wird. Mr. Market „you tricky bastard“!
Die Zukunft á la Mr. Market
Nun ist der hier sezierte Artikel gespickt mit verschiedenen Vermutungen über die zukünftige Entwicklung der BASF SE. Auch Warnungen und Schwarzmalerei sind dabei. Ich möchte hier nur ein paar Beispiele für Mr. Markets „Argumente“ unkommentiert anführen.
#1: Das doppelte Russland-Risiko / die Russland-Connection
Über die Tochter Wintershall gehört die BASF zu den Hauptfinanzierern der umstrittenen Erdgas-Pipeline Nord Stream II. Zudem will der Konzern in den nächsten Monaten die Fusion seines Erdölgeschäfts mit der DEA zu Ende bringen, die zum Reich des russischen Oligarchen Michail Fridman gehört. Beide Operationen stoßen auf den massiven Widerstand der USA, die eine engere Zusammenarbeit verhindern wollen. Sanktionen der USA würden die BASF stärker treffen als viele anderen deutsche Konzerne.
Capital-magazin, märz 2019, Seite 116
#2: Die operativen Baustellen
Überhaupt gibt es im Unternehmen so viele Baustellen, dass die Manager leicht den Überblick verlieren könnten: Die Trennung vom Öl- und Erdgasbereich, der nicht mehr als Kerngeschäft gilt; die Integration der frisch zugekauften Agrarchemie vom Konkurrenten Bayer; der Einbau des Nylon-Geschäfts der belgischen Solvay-Gruppe in die Textilchemiesparte; ein neues Gemeinschaftsunternehmen für Papierchemikalien; ein halbes Dutzend kleinerer Neuerwerbungen; die wichtige Digitalisierung der Lieferketten; die Liste der Aufgaben ist sehr lang. Und nicht wenige Branchenkenner meinen: zu lang.
Capital-Magazin, März 2019, Seite 116/117
#3: die China-Wette
Laut Experten ist das [der Bau eines zweiten Verbundstandortes in Shenzen, Süd-China für 10 Mrd. Dollar bis 2030, Anm. Bouvier] ein hochriskanter Kurs, der auch intern auf große Bedenken stieß. Als früherer Asien-Chef des Konzerns hält sich Brudermüller [der aktuelle CEO, Anm. Bouvier] jedoch für kompetent genug, die Kritik beiseite zu wischen. […] Die Fertigstellung könnte also genau in die Phase eines industriellen Abschwungs fallen, den viele China-Experten erwarten.
Capital-Magazin, März 2019, Seite 117
Ich möchte nach diesem ganzen Storytelling aber auch erwähnen, dass Mr. Market in diesem Artikel ein (ja, genau eines!) gutes Haar an der Aktie lässt. Die BASF-Aktie habe in der Vergangenheit bereits mehrere Kursrückschläge erleben und Dividendensorgen aushalten müssen. Letztlich sei es dem Konzern aber immer wieder gelungen, stärker aus dem Abschwung zu kommen. Sieh an!
Resümee
Was kann ich glauben? Was soll ich glauben? Sollte ich überhaupt glauben? Das sind die Fragen, die mir beim Lesen eines solchen Artikels immer wieder durch den Kopf schießen. Gemischt mit den Emotionen, die der pessimistische Ausblick vermitteln möchte, ist das mit Sicherheit keine gute Entscheidungsgrundlage. DAS sollte jeder wissen! Daher ist es für einen Value-Investor essentiell, seinen eigenen Prozess der Aktien- und Investitionsentscheidung von diesem Mischmasch abzukoppeln, selbst zu denken, zu sezieren, zu rechnen, zu filtern und dabei stets einen klaren Kopf zu bewahren. Erkenne das Storytelling! Ich wünsche viel Erfolg dabei.
– Fin –
(1) Aktienrendite 7 Jahre: Kurs 2012 (70 Euro), Kurs 2019 (65 Euro), Gesamtdividende in diesen 7 Jahren 20,30 Euro. Daraus folgt: 20,30 Euro minus 5 Euro (Kursverlust) geteilt durch den Einstiegskurs von 70 Euro ergibt 0,214 (21,4%).
(2) Aktienrendite 3 Jahre: Kurs 2016 (65 Euro), Kurs 2019 (65 Euro), Gesamtdividende in diesen drei Jahren 9,30 Euro. Daraus folgt: 9,30 Euro minus 0 Euro (Kursgewinn/Verlust) geteilt durch den Einstiegskurs von 65 Euro ergibt 0,143 (14,3%).
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