Vor einigen Monaten wurde mir während meiner Suche nach Aktien, die unter bilanziellem Buchwert gehandelt werden, plötzlich die Gerry Weber AG angezeigt. Dass das Unternehmen unterbewertet schien war für mich sofort völlig klar, weil ich mir auch heute einfach nicht vorstellen kann, dass deutsche Textilunternehmen in Zeiten billiger, asiatischer Produktion und der Dominanz von Billigketten wie KIK, Primark sowie Lebensmitteldiscountern mit Textilecke überhaupt noch profitabel sein können. Im Januar 2019 meldete die Gerry Weber AG also für mich völlig folgerichtig Insolvenz an.

Nun gibt es aber auf der anderen Seite die schwäbische Hugo Boss AG, die nicht nur bilanziell seit Jahren äußerst gut dasteht und profitabel ist, sondern aktuell (März 2019) sogar mit dem knapp Fünffachen des bilanziellen Buchwertes gehandelt wird.

In diesem Beitrag möchte ich die Entwicklungen beider Unternehmen innerhalb der letzten Jahre nachzeichnen. Dazu verwende ich meine üblichen Lieblings-Kennzahlen und Qualitätsmaßstäbe für Unternehmen. Ich möchte herausfinden, ob die Insolvenz Gerry Webers absehbar war und was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der Hugo Boss AG sind. Mein Ziel ist es, den Prozess meiner Aktienanalyse durch diese Retrospektive auf den Prüfstand zu stellen.

Ich möchte mich dabei nur auf die nackten Zahlen verlassen und werde keine Produktbewertung der Unternehmen, Geschichten, Managementverhalten oder Zeitungsartikel einfließen lassen, um bewusst das Storytelling zu vermeiden. Los geht’s!

Gerry Weber (2013)

Im Jahre 2013 ist die Gerry Weber International AG eine Holdinggesellschaft, die zentrale Dienstleistungen für die Gerry Weber Gruppe erbringt. Über die wirtschaftliche Lage der Tochterunternehmen wird im Jahresabschluss nichts explizit erwähnt. Aber in einer Zusammenfassung über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage von Gerry Weber steht dort folgendes:

Zusammengefasst zeigt die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gerry Weber International AG zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Lageberichtes eine überaus solide wirtschaftliche Situation.

Jahresabschluss 2012/13, Gerry Weber International AG

Gerry Webers Geschäftsbericht von 2012/13 weist Umsätze von 852 Mio. Euro und ein EBIT von 105,8 Mio. Euro aus. Das Ergebnis je Aktie beträgt 1,55 Euro, die Eigenkapitalquote liegt für die Gruppe bei 74%. Der Umsatz ist zum fünften Mal in Folge gestiegen, also auch durch die Finanzkrise hindurch, die EBIT-Marge, sprich die Profitabilität, ist dagegen das erste Mal in diesen 5 Jahren etwas gefallen, liegt aber mit 12,4% noch auf einem guten Niveau.

Auf Basis des 2013er Geschäftsberichtes ergibt sich für Gerry Weber trotzdem nur ein F-Score von 4 (siehe dazu auch Tabelle im Anhang). Der Aktienkurs der AG lag im Jahre 2013/2014 immer so bei mindestens 30 Euro und das bei einem bilanziellen Buchwert pro Aktie von etwa 8,60 Euro. Mr. Markets Erwartungen an die zukünftigen Gewinne dieses Unternehmens waren also hoch.

Hugo Boss (2013)

Auch die Hugo Boss AG ist die Muttergesellschaft für die Tochterunternehmen innerhalb des Hugo Boss Konzerns. Die AG erbringt, wie die Gerry Weber Holding, zentrale Dienste für IT, Logistik und Management für die gesamten Gruppe. Die Kosten für die zentralen Dienste werden den Tochterunternehmen weiterbelastet, sodass diese die Aufgabe haben, auch die Aufwände der Muttergesellschaft zu erwirtschaften. Alles soweit nichts besonderes, ich gehe mal davon aus, das Gerry Weber das ebenso tat.

Der Umsatz von Hugo Boss im Jahre 2013 beträgt 2.432 Mio. Euro, woraus sich ein operatives Ergebnis von 456 Mio. Euro (EBIT) ableitet. Das Ergebnis je Aktie beträgt 4,77 Euro, die Eigenkapitalquote 49,3%. Die EBIT-Marge in diesem Jahr beträgt 19,1%.

Auf Basis des 2013er Geschäftsberichtes ergibt ich für die Hugo Boss AG ein F-Score von 7 (siehe dazu auch Tabelle im Anhang). Der Aktienkurs des Unternehmens befand sich, bei einem Buchwert von 10,14 Euro pro Aktie, im Jahre 2013/2014 auf dem Weg, die 100-Euro-Marke zu knacken! DIESE zukünftigen Gewinnerwartungen Mr. Markets sind noch viel größer!

Gerry Weber (2014 – 2017)

Die Umsatz- und EBIT-Ziele, die für 2014 herausgegeben wurden, konnte Gerry Weber nicht erfüllen (siehe dazu Seite 44 des 2014er Einzelabschlusses). Trotzdem ist die EBIT-Marge bei gleichem Umsatz auf 12,8% angestiegen. Das F-Score für dieses Jahr ist angestiegen und beträgt nun 5. Die Eigenkapitalquote fiel von 74% auf 66,4%.

Im Jahre 2015 erzielt Gerry Weber mit 920,8 Mio. Euro einen neuen Rekordumsatz, das EBIT sinkt allerdings auf 79,3 Mio. Euro, was einer Marge von nur noch 8,6% entspricht. Das F-Score für dieses Jahr ist gefallen und beträgt 4. Die Eigenkapitalquote ist ebenfalls weiter gefallen und beträgt nur noch 51,5%.

Für das Jahr 2016 beträgt der Umsatz rund 900 Mio. Euro und ermöglicht ein EBIT von nur noch 13,8 Mio. Euro, was einer sehr knappen Marge von 1,5% entspricht! Das F-Score für dieses Jahr steigt allerdings auf 6. Die Eigenkapitalquote fällt hingegen unter die 50%-Marke auf 49,6%.

Der Umsatz im Jahre 2017 beträgt noch 880,9 Mio. Euro, sieht aber das EBIT mit 10,3 Mio. Euro sogar noch unter das niedrige EBIT des Vorjahres fallen. Die Marge beträgt nur noch 1,2%. Das F-Score für dieses Jahr fällt wieder auf 5. Die Eigenkapitalquote steigt auf 52,3%.

Hugo Boss (2014 – 2017)

Die Umsatzerlöse der Hugo Boss AG im Jahre 2014 liegen bei 2.571 Mio. Euro und lassen ein EBIT von 448,7 Mio. Euro übrig. Die Marge fällt etwas, beträgt aber weiterhin 17,4%. Das F-Score fällt auf 6. Die Eigenkapitalquote betrug rund 50,7%.

Das Jahr 2015 beendet Hugo Boss mit einem Umsatz von 2.809 Mio. Euro und einem EBIT von 447,7 Mio. Euro. Dies entspricht einer EBIT-Marge von 15,9%, also wieder ein Jahr mit fallender Marge. Die Eigenkapitalquote steigt auf 53%, das F-Score steigt auch und beträgt nun wieder 7.

Im Jahre 2016 verzeichnet Hugo Boss Einbrüche bei Umsatz und EBIT. Die Erlöse beziffern sich auf 2.693 Mio. Euro und lassen ein EBIT von 263,5 Mio. Euro übrig, was die Marge unter 10 Prozent auf 9,68% fallen lässt. Die Eigenkapitalquote sinkt auf 49,3 %, das F-Score beträgt nur noch 4!

Nachdem das Vorjahr so schlecht lief steigen die Umsätze und das EBIT der Hugo Boss AG in 2017 wieder an. Die Erlöse belaufen sich auf 2.733 Mio. Euro und ergeben ein EBIT von 341 Mio. Euro, was einer Marge von 12,5% entspricht. Die Eigenkapital überschreitet die 50%-Marke und liegt wieder bei 53%. Das F-Score steigt auf die volle Punktzahl von 9!!

Resümee

Das Geschäftsjahr 2017/18 war das letzte vollständige vor der Insolvenz der Gerry Weber AG. Ab Mitte 2018 fiel dann auch der Aktienkurs langsam unter das bilanzierte Eigenkapital je Aktie und die Aktie schien billig. Ich hoffe aber, ich wäre auch ohne meine Aversion gegen Unternehmen aus der Textilbranche zu dem Schluss gekommen, dass Gerry Weber in 2018 nur billig scheint, aber eigentlich nicht mehr profitabel ist. Das F-Score, welches immer so zwischen 4 und 6 gependelt ist, stetig fallende EBITs und Margen, die stetig fallende Eigenkapitalquote, all das sind Warnzeichen gewesen.

Das Geschäftsjahr 2016 scheint ein schwieriges für die deutsche Textilbranche gewesen zu sein und davon wurde auch Hugo Boss nicht verschont. Allerdings ist der Geschäftsbericht 2017 Ausdruck einer beeindruckenden Reaktion, die beweist, dass die Hugo Boss AG besser aufgestellt war und ist.

Insgesamt bin ich der Meinung, dass ich, anhand meiner gewählten Kennzahlen, bereits im Jahre 2013 hätte erkennen können, dass Hugo Boss ein dickeres Polster für wirtschaftlich schlechte Zeiten hat, als Gerry Weber. Insofern bin ich mit meinem Aktienauswahlprozess ganz zufrieden. Dass Gerry Weber aber sechs Jahre später die Insolvenz anmelden muss, hätte ich mit meiner Analyse damals auch nicht voraussagen können. Die Zukunft soll aber auch nicht mein Fokus sein!

Mit Sicherheit hätte ich in der 2013er Gegenwart gesehen, dass beide Aktien viel zu teuer und keine gute Value-Investition mit Sicherheitsmarge waren. Somit wäre ich also von beiden Aktien verschont geblieben und dafür kann ich mich also schon einmal auf meinen Analyseprozess verlassen.


F-Score-Tabellen (Gerry Weber)

F-Score-Berechnung Gerry Weber International AG (2013)
F-Score-Berechnung Gerry Weber International AG (2014)
F-Score-Berechnung Gerry Weber International AG (2015)
F-Score-Berechnung Gerry Weber International AG (2016)
F-Score-Berechnung Gerry Weber International AG (2017)

F-Score-Tabellen (Hugo Boss)

F-Score-Berechnung Hugo Boss AG (2013)
F-Score-Berechnung Hugo Boss AG (2014)
F-Score-Berechnung Hugo Boss AG (2015)
F-Score-Berechnung Hugo Boss AG (2016)
F-Score-Berechnung Hugo Boss AG (2017)

Geschäftsberichte Gerry Weber International AG

Geschäftsbericht 2012/13, Gerry Weber International AG: https://ir.gerryweber.com/gerryweber/pdf/files/hv2014/4_Geschaeftsbericht_2012_13_der_Gerry_Weber_International_AG.pdf

Geschäftsbericht 2013/2014, Gerry Weber International AG: https://ir.gerryweber.com/gerryweber/pdf/files/hv2015/5_Geschaeftsbericht_2013_14.pdf

Geschäftsbericht 2014/2015, Gerry Weber International AG: https://ir.gerryweber.com/gerryweber/pdf/files/hv2016/5_Geschaeftsbericht_2014_15.pdf

Geschäftsbericht 2015/2016, Gerry Weber International AG: https://ir.gerryweber.com/gerryweber/pdf/files/hv2017/4_Geschaeftsbericht_2015_16.pdf

Geschäftsbericht 2016/2017, Gerry Weber International AG: https://ir.gerryweber.com/download/companies/gerryweber/Annual%20Reports/DE0003304101-JA-2016-EQ-D-00.pdf

Geschäftsberichte Hugo Boss AG

Geschäftsbericht 2013, Hugo Boss AG: https://group.hugoboss.com/fileadmin/media/hbnews/user_upload/Investor_Relations/Finanzberichte/2003-2013/HB_GB13_DE.pdf

Geschäftsbericht 2014, Hugo Boss AG: https://group.hugoboss.com/fileadmin/media/pdf/investors/financial-reports/2014/Geschaeftsbericht_2014.pdf

Geschäftsbericht 2015, Hugo Boss AG: https://group.hugoboss.com/fileadmin/media/pdf/investors/financial-reports/2015/Geschaeftsbericht_2015.pdf

Geschäftsbericht 2016, Hugo Boss AG: https://group.hugoboss.com/fileadmin/media/pdf/investors/financial-reports/2016/Geschaeftsbericht_2016.pdf

Geschäftsbericht 2017, Hugo Boss AG: https://group.hugoboss.com/fileadmin/media/pdf/investors/annual-shareholders-meeting_DE/2018/HUGO-BOSS_HV-2018_Geschaeftsbericht_2017.pdf