Es ist schon erstaunlich wie zufällig man auf interessante Produkte und Unternehmen trifft, wenn man aufmerksam durch den Alltag spaziert. Ein Bekannter von mir absolvierte kürzlich einen dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt, den ich ihm mit mehreren Besuchen zu lindern versuchte. Jemand, der nichts selbst einmal gesund den Krankenhausbetrieb beobachtet, kann sich kaum vorstellen, was da Tag für Tag an Material vom Lager verbraucht in den Mülleimer wandert. Mullbinden, Windeln, Windelunterlagen, Pflaster, Kanülen und so weiter und so fort.
Ein kurzer Blick auf eine dieser Verpackungen verriet mir einen Hersteller dieser Produkte, die Paul Hartmann AG, und vor meinem geistigen Auge entspann sich ein „perpetuum mobiles“ Geschäftsmodell! Ich setzte mich also mit viel Eifer daran, den inneren Wert der Aktie des Unternehmens zu analysieren, um eventuell ein schönes Value-Investment zu tätigen, und teile diese Analyse hier nun gern mit dem Leser.
Geschäftsmodell
Die Geschichte der Hartmann-Gruppe kann auf deren Webseite bis zu den Anfängen nachgelesen werden. Das Unternehmen startete im Jahre 1818 und feierte kürzlich das 200-jährige Firmenjubiläum. Das Produktportfolio der Gruppe ist umfangreich und reicht von OP-Bedarfs- über Inkontinenzhygiene- bis hin zu Wund- und Hautpflegeprodukten. Zwischen diesen drei genannten Produktbereichen gibt es noch viele weitere Kategorien, die das Unternehmen bedient.
Es sind aber nicht nur die einzelnen Produkte, die die Paul Hartmann AG herstellt und vertreibt. Diese Produkte allein könnten beispielsweise in anderen Ländern günstiger hergestellt und eventuell in ähnlicher Qualität vertrieben werden. Der „Hartmann“-Clou ist der Systemlösungsansatz. Die AG ist vorwiegend in Deutschland und Europa der Treiber für die Integration und Verzahnung von Industrie („Hersteller der medizinischen und pflegebezogenen Produktpalette“) und den Krankenhäusern/Pflegeeinrichtungen („Kunden und Verbraucher der medizinischen und pflegebezogenen Produkten“). Ausdruck dafür sind sogenannte „Systempartnerschaften“ zwische MedTech-Unternehmen und den Kundeneinrichtungen. (siehe auch LINK-Plattform)
Auf diese Weise profitieren die Kunden und die Paul Hartmann AG von der Zusammenarbeit: Auf der einen Seite benutzen die Kunden die Produkte der AG und die Hartmann AG selbst lernt auf der anderen Seite aus der Praxis, entwickelt neue Produkte und liefert und schult die Praxis dann weiter. Das klingt schon ziemlich symbiotisch finde ich.
Bilanz
Das bilanzielle Eigenkapital des Unternehmens betrug Ende 2017 rund 855 Mio. Euro. Davon gilt es, rund 35 Mio. Euro Anteile nicht beherrschender Gesellschafter abzuziehen, woraus sich danach, bei rund 3,57 Mio. ausstehenden Aktien, ein Buchwert je Aktie von 229 Euro ergibt. Dazu muss gesagt werden, dass die AG selbst 20.706 Stück ihrer Aktien hält, sodass „nur“ 3,55 Mio. Aktien ausstehen, was den Buchwert je Aktie etwas erhöht, nämlich auf rund 230,80 Euro. Die Eigenkapitalquote beträgt knapp 60%.
Im Halbjahresbericht für 2018 ist nur eine verkürzte Bilanz (siehe zu den Besonderheiten der Aktie die Fußnote 1 im Anhang) zu finden aus der sich die Anteile nicht beherrschender Gesellschafter nicht ermitteln und somit kein aktuellerer Buchwert je Aktie berechnet werden kann. Wenn ich aber davon ausgehe, dass die Nicht-Beherrschenden weiter um die 35 Mio. Euro liegen, dann beträgt der bilanzielle Buchwert je Aktie vom Halbjahr 2018 etwa 237 Euro.
Der Netto-Finanzstatus, also das gesamte Finanzguthaben des Unternehmens abzüglich aller Finanzschulden des Unternehmens, ist mit 65,7 Mio. Euro solide positiv und hat sich in Q3/2018 im Vergleich zu Q3/2017 sogar noch verbessert (vorher: 43,1 Mio. Euro); siehe dazu auch die F-Score Tabelle im Anhang.
Gewinne / Dividende / Cash-Flow
Der durchschnittliche Gewinn der Paul Hartmann AG über die letzten 7 Jahre beträgt 20,13 Euro je Aktie. Bei einem aktuellen Aktienkurs um die 310 Euro errechnet sich daraus ein gewichtetes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15,4. Auf das letzte vollständige Geschäftsjahr allein bezogen beträgt der Gewinn pro Aktie 24,82 Euro und das KGV 12,5.
Die durchschnittliche Dividende in den letzten 7 Jahren betrug 6,29 Euro, was beim aktuellen Kurs eine Dividendenrendite von 2% ergibt. Die Dividende für das Geschäftsjahr 2017 betrug 7 Euro, soll laut Dividendenpolitik immer stetig wachsen und ergibt eine aktuelle Dividendenrendite von etwa 2,3%.
Grundsätzlich fällt mir auf, dass die durchschnittliche Ausschüttungsquote 31% beträgt, was meines Erachtens eher konservativ ist. Diese Beobachtung deckt sich aber mit der Strategie des Unternehmens, den Unternehmenswert und damit die Dividende nachhaltig steigern zu können. Zu diesem Zwecke behält man im Schnitt eben rund 70% des erwirtschafteten Gewinnes ein, was ich nicht schlecht finde.
Während das gewichtete KGV nicht gerade auf einen günstigen Einstiegspreis hinweist, verhält sich das beim Kurs-Cash-Flow-Verhältnis etwas klarer. Der operative Cash-Flow lag Ende 2017 bei 200 Mio. Euro nach 151 Mio. Euro im Vorjahr. Das ergibt einen Cash-Flow pro Aktie von 56,02 Euro und ein Kurs-Cashflow-Verhältnis von 5,5.
Krisenfestigkeit der Paul Hartmann AG
„MedTech“-Unternehmen haben in meiner naiven Vorstellung immer Konjunktur, weil die Menschen eben in Guten und Schlechten wirtschaftlichen Zeiten die Produkte dieser Unternehmen „nachfragen“. Mir ist bewusst, dass es ziemlich verzogen ist, bei pflegebedürftigen oder verletzten, kranken Menschen von „Nachfragern“ zu sprechen. Allerdings habe ich mir das System nicht ausgesucht, sondern beobachte nur. Und darum will nun die Auswirkungen der Finanzkrise 2008/09 auf das Konzernergebnis der Paul Hartmann AG untersuchen.
Hier befindet sich eine „Unternehmensbroschüre“ der Hartmann-Gruppe aus dem Jahre 2008. Dort wird das operative Konzernergebnis mit 42,7 Mio, Euro bei einem Umsatz von 1.377 Mio. Euro ausgewiesen, was einer Umsatzrendite von rund 3% entspricht. Hier gibt es einen Geschäftsbericht des Jahres 2012, der, wie bei den Berichten des Unternehmens häufig zu sehen, die wichtigsten Kennzahlen der letzten 5 Jahre der Hartmann-Gruppe nochmals tabellarisch listet. Es ist zu sehen, dass die „Nettoumsatzrendite“ in den Jahren 2008 bis 2012 zwischen 3,0% und 4,3% pendelt. Durch die Finanzkrise hat das Unternehmen seine Rentabilität also gut halten können.
Aktionärsstruktur / Aktienkurs
In den Geschäftsberichten 2011 – 2014 (ZIP-Archiv) der Hartmann-Gruppe wird noch von einem „stabilen Aktionärsstamm“ berichtet, der eher an einem „nachhaltig gesteigerten Unternehmenswert“ interessiert ist, als an einer hohen Dividendenausschüttung. Das niedrige tägliche Handelsvolumen in diesen Jahren wurde als „Ausdruck dieser Haltung“ gewertet. Unterstützt wurde diese gemeinsame Haltung von rund 80% der stimmberechtigten Aktien durch einen sogenannten „Pooling“-Vertrag, durch den sich die Anteilseigner vor einer Hauptversammlung auf ihr Abstimmverhalten für die vorgeschlagenen Tagesordnungspunkte der Geschäftsführung abstimmten (syndizierten).
Seit 2015 ist dieser Pooling-Vertrag aufgehoben und die Aktien befinden sich nahezu zu 100% im Streubesitz (Freefloat), ohne dass es eine kontrollierende Mehrheit gibt. Der größte Einzelaktionär ist die Paul Hartmann AG selbst mit rund 0,58% der Aktien (eben genau die o. g. 20.706 Stück).
Noch im Jahr 2016 betrug der Streubesitz nur rund 31%, da die Schwenk Limes GmbH & Co. KG eine kontrollierende Mehrheitsbeteiligung an der Paul Hartmann AG besaß (siehe hier). Diese Mehrheitsbeteiligung wurde sukzessive zum heutigen status quo abgebaut und ist aus meiner Sicht einer der Treiber des stetig fallenden Aktienkurses der letzten 3 Jahre (von knapp 430 Euro auf heute knapp 310 Euro).
Fazit
Value-Investoren sind auch nur Menschen, das ist klar. Nur kann ich einen Value-Investor nicht als Value-Investor bezeichnen, wenn er sich aufgrund von „Übernahmephantasie“ für ein solides Unternehmen entscheidet und sich zwei Jahre später wieder von eben diesem Unternehmen trennt, weil sich der „erhöhte Börsenumsatz nach Auflösung des Pooling-Vertrages“ nicht eingestellt hat oder sich seine „Übernahmespekulation“ nicht materialisierte. Der Kurs einer Aktie sollte, nach reiflicher Überlegung und Auswahl der Aktie, nur für den initialen Einstieg in ein Investment relevant sein. Was andere von der Einstiegsentscheidung halten und wie sie mit dem Kauf oder Verkauf der gleichen Aktien darüber votieren, sollte irrelevant sein (so die Theorie).
Oder mit den Worten Benjamin Grahams: „In the short run, the market is a voting machine but in the long run, it is a weighing machine.“ (Quelle)
„In the long run“ hat die Paul Hartmann AG eine beeindruckende Ertragspower auf die „weighing machine“ gelegt. Der Cash-Flow stimmt, die Gewinne stimmen, die Vermögenslage stimmt (voller F-Score von 9!, siehe dazu auch meinen Beitrag über Value Traps), alles sehr solide. Es ist darüber hinaus nicht abseh- oder vorstellbar, wann die Produkte des Unternehmens einmal nicht mehr nachgefragt werden sollten. Forschung, Entwicklung und Innovation werden groß geschrieben, die Integration mit den Krankenhäusern und Pflegeunternehmen, also den Kunden, schreitet weiter voran.
Bei einem Buchwert von etwa 237 Euro je Aktie und einem Gewinn je Aktie von konservativen 15 Euro für die nächsten 5 Jahre hat die Aktie einen inneren Wert von rund 310 Euro, was ziemlich genau dem aktuellen Aktienkurs entspricht. Ein Schnäppchen ist die Aktie damit natürlich nicht. Eine kleine Sicherheitsmarge wäre viellicht der Abstand von 15 Euro je Aktie konservativer Schätzung zu den durchschnittlichen 20 Euro je Aktie der vergangenen 7 Jahre, aber das muss jeder Value-Investor selbst entscheiden. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Aktie Ende Februar 2019 von Mr. Market fair bewertet wird.
F-Score-Tabelle
(1) Die Aktie der Paul Hartmann AG ist kein klassisch börsennotiertes Wertpapier im Sinne des deutschen Aktiengesetzes, sondern wird nur im Freiverkehr/OpenMarket der Frankfurter Börse gehandelt, und hat daher auch nicht die Veröffentlichungspflichten, die sich auf den regulierten Marktplätzen gelten.
Geschäftsbericht 2017: https://hartmann.info/-/media/corporate/investor-relations/img/deutsch/geschaeftsbericht/gb-2017-in-2018/phag-geschaeftsbericht-2017-deutsch.pdf
Quartalsbericht Q3/2018: https://hartmann.info/-/media/corporate/investor-relations/img/deutsch/inform/2018/de_inform_q3_2018_internet_mobil_pdf.pdf
Halbjahresbericht 2018: https://hartmann.info/-/media/corporate/investor-relations/img/deutsch/inform/2018/ph_halbjahresbericht_2018.pdf
Geschäftsberichte 2013-2016 (als ZIP-Dateiarchiv): https://hartmann.info/-/media/corporate/investor-relations/img/deutsch/geschaeftsbericht/gb-2017-in-2018/phag-geschaeftsberichte-2013-2016-deutsch.zip
Unternehmensbroschüre Hartmann-Gruppe 2008: http://karriere-lounge.de/sites/23/media/import/File/E-H/Hartmann-Unternehmensbroschre.pdf
Geschäftsbericht 2012 Hartmann-Gruppe 2012: http://www.equitystory.com/Download/Companies/paulhartma/Annual%20Reports/DE0007474041-JA-2012-EQ-D-00.pdf
Woher hast du die Info, dass die Schwenk Limes GmbH & Co. KG ihre Anteile verkauft hat? Ich finde keine Kapitalmarktmeldungen (Schwellenunterschreitungen etc.) dazu… Die letzte Meldung im Bundesanzeiger die ich gefunden habe ist die Meldung der Überschreitung in 2014.
Hallo Shallow,
das habe ich einfach aus dem Umstand geschlossen, dass der aktuelle FreeFloat rund 99% beträgt. Ich kann mich natürlich irren und wenn keine Schwellenunterschreitungsmeldungen vorliegen ist das sogar wahrscheinlich. Allerdings liegen mir keine anderen Quellen vor. 🙁
Viele Grüße
V. Bouvier