Der Begriff „Value-Investor“ ist für mich mit einem bestimmten Investitionsverhalten verbunden. Grob gesagt beschäftige ich mich VORAB intensiv mit dem Unternehmen und den mir dazu vorliegenden Daten. Wenn ich auf dieser Basis zu einem Investment geneigt bin, vergleiche ich den aktuellen Marktpreis des Investments (Aktienkurs) mit dem für mich inneren Wert des Investments (inneren Wert der Aktie). Wenn ich nun das Unternehmen mit einer für mich ausreichend großen Sicherheitsmarge erstehen kann, tätige ich ein Investment, freue mich während meiner Eigentümerschaft auf die regelmäßigen Quartals- und Finanzberichte und verfolge die finanzielle Performance.
Wie kann ich aber nun die finanzielle Performance messen? Der Aktienkurs, obwohl ich zugebe, dass ich ihn für meine Investments auch fast täglich verfolge (echt peinlich), ist je nach Makro- oder Mikronachrichtenlage (gesamtwirtschaftlich & betriebswirtschaftlich) ja eher eine „wankelmütige Hure“ und wenig dazu geeignet, das Gewicht meiner Anlageentscheidung kurz- und mittelfristig adäquat zu bewerten (Stichwort: Mr. Market). Aus diesem Grund möchte ich in diesem Beitrag auf den Begriff „Wirtschaftlicher Gewinn“ eingehen, den ich idealerweise als einzige Leistungskennzahl für meine Investmententscheidung sehe (sehen sollte).
Definition
Zunächst ist es essentiell, den Unterschied zwischen dem Buchwert und dem inneren Wert einer Aktie zu verstehen. Der Buchwert ist die Zahl, mit der das Unternehmen sein Anlage- und Umlaufvermögen („Fabriken, Marken und Vorräte“) nach den gesetzlichen, buchhalterischen Vorgaben in der Bilanz bewertet und ausweist. Der innere (instrinsic) Wert eines Investments ist das, was ich über die geschätzte verbleibende Laufzeit des Unternehmens an Gewinnen (Returns) für mein Investment erwarten kann. Oder mit den Worten Warren Buffets:
Book value is an accounting concept, recording the accumulated financial input from both contributed capital and retained earnings. Intrinsic business value is an economic concept, estimating future cash output discounted to present value. Book value tells you what has been put in; intrinsic business value estimates what can be taken out.
Warren Buffetts „Letter to Shareholders“, 1983
Buffetts Analogie dazu ist eine College-Ausbildung, die beispielsweise 100.000 Euro kostet (Buchwert/Book Value), die dem Ausgebildeten über die restliche Lebenszeit aber entweder mehr oder weniger als 100.000 Dollar einbringen kann. Das, was die College-Ausbildung über die Jahre einbringt, ist der innere Wert der Ausbildung (Intrinsic Value).
Was hat das nun mit wirtschaftlichem Gewinn zu tun?
Wenn ein Unternehmen Gewinne je Aktie ausweist, dann kann dieser Gewinn auf zwei Arten verwendet werden. Zum Einen könnten die Gewinne einbehalten werden, zum Anderen könnte eine Dividende ausgeschüttet werden. Meistens findet beides gleichzeitig statt, sodass bei einer Dividendenausschüttungsquote von 30%, die restlichen 70% der Gewinne einbehalten werden (retained earnings). Mit Hilfe der Dividendenrendite kann man diese 30% Ausschüttung schon einmal ins Verhältnis zu seinem Kaufkurs setzen und hat damit eine Renditekennzahl, die den wirtschaftlichen Gewinn allerdings nur zu 30% ausdrückt.
Für den wirtschaftlichen Gewinn ist es wichtig zu wissen, wie das Unternehmen die anderen 70% einsetzt. Zum Beispiel könnte das Unternehmen eigene Aktien zurückkaufen und somit meinen Anteil am Unternehmen erhöhen. Buffett macht das in seinem Aktionärsbrief aus dem Jahre 1990 am Beispiel von Coca-Cola deutlich:
When Coca-Cola uses retained earnings to repurchase its shares, the company increases our percentage ownership in what I regard to be the most valuable franchise in the world. (Coke also, of course, uses retained earnings in many other value-enhancing ways.) Instead of repurchasing stock, Coca-Cola could pay those funds to us in dividends, which we could then use to purchase more Coke shares. That would be a less efficient scenario: Because of taxes we would pay on dividend income, we would not be able to increase our proportionate ownership to the degree that Coke can, acting for us.
Warren Buffetts „Letter to shareholders“, 1990
Das Unternehmen setzt also die einbehaltenen Gewinne idealerweise dazu ein, den inneren Wert MEINES Anteils zu steigern. Sei es durch Aktienrückkaufe oder durch weitere Investitionen/Expansionen, die zusätzliche zukünftige Gewinne generieren etc. Der Wert dieser Investitionen oder Aktienrückkäufe ist zum aktuellen Zeitpunkt erfahrungsgemäß schwer abzuschätzen und daher schlägt Buffett einen Bewertungszeitraum von 5 Jahren vor, nach dessen Ablauf betrachtet werden sollte, ob ein Dollar einbehaltener Gewinn mehr als einen Dollar „intrinsic Value“ erwirtschaftet hat.
Fazit
Bei der Ermittlung der Performance meiner Aktieninvestments sollte ich also statt der Dividende allein, den gesamten Jahresgewinn je Aktie zu Rate ziehen. Die einbehaltenen Gewinne erhöhen im Idealfall nämlich den Buchwert, der erhöhte Buchwert führt idealerweise dazu, dass mehr Gewinne erwirtschaftet werden und zusätzliche Gewinne erhöhen den inneren Wert des Investments.
Wenn ich das, wie es sich für einen Value-Investor gehört, über einen längeren Zeitraum tue kann ich die Fähigkeit des Managements bewerten, die einbehaltenen Gewinne werterhöhend einzusetzen. Nichtsdestotrotz kann es einen Punkt geben, an dem es einfach keine sinnvolle Investitionsmöglichkeit mehr für das Unternehmen gibt. Buffett beschreibt das so:
We feel noble intentions should be checked periodically against results. We test the wisdom of retaining earnings by assessing whether retention, over time, delivers shareholders at least $1 of market value for each $1 retained. To date, this test has been met. We will continue to apply it on a five-year rolling basis. As our net worth grows, it is more difficult to use retained earnings wisely.
Warren Buffetts „Letter to Shareholders“, 1983
In diesem Falle sollten die gesamten Gewinne des Unternehmens per Dividende ausgeschüttet werde, denke ich (wirtschaftlicher Gewinn = Dividende). (Interessant ist hierbei, dass Buffetts Berkshire Hathaway seit Jahren keine Dividende ausschüttet, obwohl das Unternehmen mit seinem Finanzmittelfonds doch inzwischen diese „kritische Masse“ erreicht hat.)
Der wirtschaftliche Gewinn bleibt also, abgesehen von der greifbaren Dividende, eine subjektive Kennzahl, da sie sich auf zukünftige Zahlungsströme einbehaltener Gewinne bezieht, die ich, wenn überhaupt, erst nach mehreren Jahren grob abschätzen kann. Vielleicht aber hilft diese Kennzahl dem geneigten Leser wie mir, sich von den „täglichen Abstimmungsergebnissen“ der „wankelmütigen Börsenhure“ zu lösen und sich mehr auf die mittel- bis langfristige Gewinnperformance seiner Investments zu konzentrieren.
Buffetts Aktionärsbrief 1983: http://www.berkshirehathaway.com/letters/1983.html
Buffetts Aktionärsbrief 1990: http://www.berkshirehathaway.com/letters/1990.html
Schreibe einen Kommentar