Sie hatte ihn verlassen, so viel stand fest. Oder jedenfalls hatte er es so zu akzeptieren. Sie lebte nun woanders. Er hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, dass er es nicht länger etrage, wenn sie ihrem Neuen schreibe, ihm auf der Straße zu winke oder in ihrem ehemalig gemeinsamen Heim wie ein Geist herumschwirre, der in Gedanken nur seiner Verliebtheit für ihn nachhängt. Sie möge gehen und sich klar werden, was sie wollte, hatte er ihr respektvoll zu Verstehen gegeben.

So saß er nun, allein, im Halbdunkel der winterlichen Abenddämmerung auf dem Sofa, das einst Zeuge vieler liebevoller Spielereien zwischen ihnen gewesen war. Alles war ruhig, kein Knistern, kein Verkehrslärm von der Straße, nicht einmal sein eigenes Atmen konnt er hören. Die Zeit verstrich gleichgültig und zäh. Keine neue Sekunde, Minute oder Stunde hatte eine Bedeutung: Wozu auch? Was soll schon noch Neues passieren? Nichts, das er sich in seinem gebrochenem Herzen ausmalte, vermochte es, seine Einsamkeit, seine zerstörte Illusion von lebenslanger Zweisamkeit auszugleichen oder wenigstens zu lindern.

(Soundtrack zum Post: Alicia Keys – Try sleeping with a broken heart)

Doch plötzlich!

Durch die dunkle Stille des Raumes, schneidet sich das scharfe, respektlose Klingeln seines Telefons. Sie ruft an! Was will sie? Hat sie gespürt, wie sehr ich sie vermisse? Hat sie vielleicht erkannt, dass sie auch ohne mich nicht leben kann und will? Die bange Hoffnung und die trotzdem stärkere Angst vor noch schlimmeren Hiobsbotschaften, lassen sein Herz wie einen schweren Klotz, den man auf dünne, in der Luft hängende Styroporplatten fallen lässt, drei Etagen tiefer plumpsen. Grauenvoll! Und doch: vielleicht ist ein wenig Hoffnung doch noch gerechtfertigt…

Er nimmt ab, sie ist dran. Sie scheint gut drauf, fast fröhlich; sie fragt etwas Belangloses bezüglich irgendwelcher Güter, die es zu trennen gilt und was sie gern noch bei sich hätte, ob das wohl möglich wäre und sie denke, das ginge schon in Ordnung so und das müsse er dann wohl auch einsehen, sie verhalte sich schließlich sehr vernünftig und so bla bla, findet sie.

Offensichtlich spürt sie seinen Schmerz nicht, er schweigt. Seine schmerzvolle Trauer wandelt sich ob ihrer ignoranten Belanglosigkeit in vorsichtige Wut. Er versucht ruhig und gleichgültig zu antworten: „Ja, ich denke, das geht so in Ordnung.“ Das leichte, verzweifelte Zittern seiner Stimme vernimmt sie nicht. Er streckt, wie schon so oft vergebens, einen Fühler aus, um auf eine persönliche Ebene mit ihr zu gelangen. Eine Ebene, über die er seinen Schmerz, seine Gefühle zu ihr tragen kann und auf der sie sie vorsichtig und behutsam wenigstens respektvoll registriert: „Und? Wie geht es dir?“, fragt er.

Sie antwortet: „Ganz gut eigentlich!“ Ihre Stimme verrät, dass sie bei diesen Worten lächelt. Sie lügt also offensichtlich nicht. Ohne vergeblich auf ihre Gegenfrage nach seinem Befinden zu warten, streckt er naiverweise einen weiteren Fühler aus, um doch noch einmal über alles reden zu können, sich zu erleichtern, sie in die eine oder andere Richtung zu bewegen, alles würde er gern bereden, so viel reden, nach Erklärungen suchen, sie geben oder wenigstens hören. Schließlich waren sie doch immernoch verheiratet, das muss doch etwas bedeuten, oder?

Er fragt also: „Sag mal, hast du morgen Zeit? Ich würde gern mit dir einen Kaffee trinken gehen. Einfach mal über alles quatschen. Was meinst du?“. Seine betonte Lockerheit klingt erbärmlich, das weiß er, aber es ist ihm jetzt, hier egal.

Sie antwortet, wieder lächelnd, scheinbar belustigt, offensichtlich ist sie nicht allein: „Hhmm..“ Seine Wut steigert sich, lange hat er sich nicht mehr im Griff. Sie antwortet: „Weißt du, ich glaube, das geht nicht. Frank“, ihr Neuer, „fände das nicht so gut. Er ist schnell eifersüchtig.“

Das wars!

All seine gefakte Neutralität, seine herzliche Wortwahl und Stimme am Telefon, um doch noch mit dem Bischen, das sie gibt, eine gemeinsame Ebene aufzubauen, vergebens. Er verliert sich und gibt seinem Schmerz die Gelegenheit, sich mit seinem blinden, unterdrückten Zorn zu vereinen: „WAS? ICH SOLL AUF DEN RÜCKSICHT NEHMEN? AUF DEN TYPEN? AUF DEN TYPEN, DEN DU ERST DREI WOCHEN KENNST? FÜR DEN DU ZWÖLF JAHRE BEZIEHUNG EINFACH SO IN DEN MÜLL SCHMEIẞT? AUF DEN TYPEN, DER MEINE FRAU FICKT?“

Noch bevor er seine eigenen Worte verhallen hört, noch bevor er den nächsten Atemzug nach diesem Ausbruch nehmen kann ertönt am Telefon aus dem Hintergrund eine laute, männliche, leicht verschmitzt klingende Stimme: „… UND ES MACHT SPAß! HA HA!“ – Frank! Frank war bei ihr! Natürlich! Frank hatte seinen verzweifelten, weinerlichen Ausbruch mit angehört und weidete sich nun an seinem offen vor beiden ausgebreiteten, ungeschützten Inneren!

Sein Gesicht warm, es kribbelte. Eigentlich kribbelte der ganze Schädel. Sein Herz, seine Schlagadern, alles schlug so schnell es konnte, er war sprachlos, enttäuscht, verletzt, erniedrigt, entmannt, zerstört und besiegt.

Mit seiner letzten Kraft, dem letzten Fetzen Würde, den er auf dieser Schlachtbank noch zu finden vermochte, entschied er, sich nicht auf dieses Niveau zu begeben und antwortet mit leiser, versucht verächtlich klingender Stimme: „Alles klar! Einen schönen Abend noch…“ und legt auf. Inzwischen war die Abenddämmerung vom Schwarz der Nacht verdrängt worden und konnte sich trotzdem farblich nicht dem schwarzen Loch in seinem Herzen messen…

(Soundtrack zum Post: Alicia Keys – Try sleeping with a broken heart)