Jedem, der dieses Blog auch nur halbwegs regelmäßig verfolgt, wird aufgefallen sein, dass meine Posts seltener, meine Worte spärlicher fließen, als es noch in 2019 der Fall war. Diese Tatsache will ich heute mal etwas näher erläutern, ein kleines Licht darauf werfen, was mich in der letzten Zeit so beschäftigt.

Jedes Mal, wenn ich mir ein Aktie vornehme, sie analysieren möchte, oder sei es, dass ich mir nur einen aktuellen Quartalsbericht eines bereits analysierten Unternehmens zu Gemüte führe, komme ich unweigerlich an den Punkt, an dem ich die Analyse als gehaltlos, weil irgendwie sinnlos erachte. Warum ist das so, habe ich mich gefragt.

Unzuverlässige Datenbasis im Bestand

Nun ja: nehmen wir doch einfach mal die BASF, eine meiner Lieblingsaktien. In Q1/2019 lag der FreeCashflow bei -368 Mio. Euro. In Q1/2020 dann bei -1.600 Mio. Euro. Das zweite Quartal 2020, in dem die üppige Dividende gezahlt wurde und in den das Gros des Corona-Lockdowns fällt, wird diese Kennzahl mit Sicherheit noch viel weiter in den roten Bereich drücken. Darüber hinaus ist die DEA/Wintershall-Fusion, die in 2019 noch mit einem erheblichen Buchgewinn bewertet wurde, durch den gefallenen Ölpreis quasi nicht mehr realistisch bewertet und wird demnach auch den Gewinn 2020 negativ belasten.

Diese beiden Aspekte bei der Aktienanalyse zur BASF sollen verdeutlichen, dass es für alle Kennzahlen, die ich so verwenden könnte, eigentlich keine belastbare Datenbasis mehr gibt. Ich kann nicht mehr guten Gewissens die Jahre 2010 – 2019 (oder überhaupt irgendeine andere Spanne) zur Approximation der zukünftigen Gewinne heranziehen. Wahrscheinlich wird der für die Dividende der BASF so relevante FreeCashflow für 2020 negativ ausfallen. Somit sollte auch eigentlich die Dividende ausfallen. Daran dürfte auch die kürzlich platzierte Anleihe mit einem Volumen von über 4.000 Mio. Euro nichts ändern, wenn man nicht die Dividende über Verbindlichkeiten bezahlen will.

Unzuverlässige Datenbasis bei Neuzugängen

An einem Artikel über das Unternehmen „World Wrestling Entertainment Inc.“, den ich in der Pipeline mit mir herum trage, brüte ich nun schon eine ganze Weile und komme nicht vorwärts. Ich kenne zwar die Historie des Unternehmens, seine Produkte, seine vergangenen Bilanzen und Gewinne. Aber was soll ich realistischerweise aus dieser Datenbasis für eine Einschätzung über den inneren Wert der Aktie abgeben, nachdem Corona dafür gesorgt hat, dass das Haupt-Cash-Event des Jahres für dieses Unternehmen („Wrestlemania 36“) in eine Trainingshalle in Florida verlegt wurde, statt, wie üblich, die Menschen in einem fast 100.000 Personen fassendendes Open-Air-Stadion mit dekadenter Pyro-Technik und patriotischem Tamtam geschmückten Mega-Spektakel, dem Super Bowl ähnlich, weltweit zu begeistern.

Zwar geht es irgendwie weiter und WWE Inc. ist mehr als seine Live-Events, insbesondere mit dem 24/7-Streaming Netzwerk „WWE Network“ bei dem es so viel mehr zu sehen gibt als „nur Wrestling“; auch der weltweite Merchandise-Vertrieb scheint weiterzulaufen, die WWE bedient eben den „Spiele-Part“ von „Brot und Spiele für die Menschen“ in der besonders für die USA so kritischen Corona-Zeit; dennoch hat auch für dieses Unternehmen im Frühjahr 2020 eine Zäsur stattgefunden, deren Auswirkungen nicht abschätzbar sind.

Sicherheitsmarge?

Für unsichere Aktienanalysen gibt es für den Value-Investor seit je her ja das Werkzeug der Sicherheitsmarge. Wenn also die Aussagen über die Zukunft bzw. die zukünftigen Cash-Zuflüsse eines Unternehmens zu unsicher sind, dann muss ich meine Sicherheitsmarge entsprechend großzügig wählen, um dieses Bewertungsrisiko zu berücksichtigen. Aber hier liegt die Krux: wenn ich meine Sicherheitsmarge so wähle, dass ich ruhig schlafen kann, dann fallen nicht zur potentielle Neuzugänge für mein Depot schnell durch das Raster, nein, auch alle Bestandsaktien meines Depots/Musterdepots liegen eigentlich weit außerhalb ihrer inneren Werte.

Dies wiederum bedeutet, dass ich eigentlich sehr viel verkaufen müsste. Wahrscheinlich würde ich dies auch tun, wenn ich mit den betroffenen Aktienpositionen im „Grünen“ läge, was ich aber zum Großteil nicht tue (Musterdepot gesamt -0,1%, RealTime-Depot gesamt -5%). Und selbst wenn ich die entsprechenden „roten“ Positionen auflösen würde stünde ich mit einem reduzierten Haufen Cash in der Hand da und hätte sehr wenig geeignet Value-Kandidaten, in die ich investieren könnte, um mich vor der aktuell laufenden, weltweiten Corona-Cashwelle (sprich: „Konjunkturpakete“) der Notenbanken/Regierungen und der damit einhergehenden Geldentwertung zu schützen.

Blick in die Glaskugel

Der Corona-Crash, so intensiv und plötzlich er auch kam, ist an den Börsen eigentlich längst wieder passé. Der DAX steht aktuell wieder auf dem Niveau von Oktober 2019. War was? Nö, oder? Das kann doch aber nicht normal sein! Die Finanzkrise 2008/09 war auch heftig und da hat die Erholung wenigstens 2 Jahre gedauert. Der Dot-Com-Crash 2001 hat der Börse ca. 6-7 Jahre abverlangt, um die alten Höhen wieder zu erreichen. Aber der unvorhergesehene, noch nie dagewesene Corona-Lockdown, bei dem allein die deutsche Wirtschaft für mehrere Wochen quasi in eine Vollbremsung geht, deren Folgen sich nur peu-á-peu in den Bilanzen widerspiegeln werden; dieser Crash soll schon vorbei sein?

Das kann nicht sein! Wir leben also, meiner Meinung nach, in verrückten Zeiten. Wir bekommen keine Zinsen für unser Erspartes. Die Alternativen sind Immobilien, Gold und Aktien. Immobilien sind bereits zu teuer und zu „klobig“ bzw. „illiquide“, Gold „schüttet keine Dividende aus“, was bleibt uns also? Genau! Und demnach sind Aktien auch alternativlos. Wir befinden uns zwar nicht in einer Dienstmädchen-Hausse, aber das auch nur, weil das Dienstmädchen (siehe auch: Pflegekräfte) nicht genügend Geld hat, um sich daran zu beteiligen. Wir befinden uns, und damit wiederhole ich meinen Begriff, den ich in einem Kommentar bei Michael C. Kissig habe fallen lassen, in einer „Hausse der Investoren„, in der die Finanzwelt und alle die, die noch Cash besitzen sich um alle Aktien prügeln und sich somit die Preise gegenseitig in die Höhe treiben.

Ich möchte diese Verrückheit noch mit ein paar Beispielen illustrieren.

  1. Fielmann: Vorzeigeunternehmen, seit Jahren auf Wachstumskurs, zahlt für 2020 keine Dividende, weil die europaweit nahezu alle Geschäfte schließen mussten und ihre Liquidität schützen müssen; auf 52-Wochensicht (also von jetzt zu jetzt minus 52 Wochen) liegt der Aktienkurs 1,9% im Plus; völlig zu Unrecht, wie ich finde
  2. UiPath: ein Startup, das sich mit der Automatisierung von Geschäftsprozessen befasst und einen Jahresumsatz von 400 Mio. erzielt, wird mit 10.000 Mio. Euro bewertet
  3. Microsoft: Softwareunternehmen seit Jahren auf Wachstumskurs, weltweit einzigartige Produkte, eines der Unternehmen, das als Cash-Cow und Corona-resistent gilt und auf das sich nun „alle“ stürzen, weil es quasi unverwundbar ist; Kurs-Buchwert-Verhältnis 10, Kurs-Gewinn-Verhältnis etwa 30, Dividendenrendite beim aktuellen Kurs etwa 1%; einer der letzten Strohhalme für alle

Resümee

In diesem Chaos also, in diesem Universum von Blackrock et al. stehe ich mit meinen Kröten und möchte sie zusammen mit meinen Schäfchen ins Trockene bringen. Was bleibt mir?

Schwingen wir doch mal die gaaanz große Pessimistenkeule und sagen, dass es irgendwann zu einem so großen Wirtschaftseinbruch kommt, zu einer richtigen Zäsur, die das aktuell bestehende Finanzsystem wegfegt. Klar, die Notenbanken in ihrer jetztigen Form werden sich winden, werden ihre Druckerpressen in den Krieg gegen den Untergang werfen und sich mit der letzten Kraft ihres Selbsterhaltungstriebes gegen die Zerstörung ihres Systems wehren (inkl. Währungsreform, Bargeldabschaffung, Negativzinsen für alle).

Ok. Aber sagen wir, sie schaffen es nicht, den Untergang zu verhindern. Schauen wir auf eine Utopie danach. Was ist dort?

Dort wird es auch Versorger, Handelsunternehmen, Lebensmittelhersteller und so weiter geben. Es werden viele Unternehmen, die durch das heutige System künstlich am Leben erhalten werden (insbesondere Investementbanken), in ihrer jetzigen Form nicht mehr geben. Aber das, was der Mensch benötigt, ohne das er nicht leben kann, wird es weiterhin geben. Und natürlich auch die Unternehmen dazu. Vielleicht in einer anderen Wirtschaftform mit anderen Verrechnungseinheiten für Arbeit gegen andere Produkte. Vielleicht wird es auch Enteignungen geben, weil die heutigen Eigentumsverhältnisse die Macht- und Kapitalkonzentration, die zum Zusammenbruch führten, erst ermöglicht haben. Aber es wird weitergehen. Das Wirtschaften wird weitergehen.

In diesem Sinne also kann ich meine Kröten doch weiterhin fröhlich, aber vorsichtig bedacht in die aktuelle „Hausse der Investoren“ schicken, wenn ich davon ausgehe, dass sie mir im „System danach“ eh nichts mehr einbringen, weil es „neue“ oder „andere“ Kröten geben wird. Wie lange es noch so weitergeht weiß ich nicht, vielleicht für immer (Muharharharhahr!!). Oder wenn schon nicht für immer, dann doch wenigstens so lange, bis ich mir um Vermögen keine Sorgen mehr machen muss. Das Weitermachen scheint demnach also wirklich alternativlos zu sein, auch wenn es mich bedrückt.

– „The show must go on!“ –