Manchmal ist es bei der Aktienanalyse einfach nur interessant zu sehen, wie sich die Eigentumsverhältnisse und somit die Gewinnberechtigungen auf die Aktionäre und weitere Gesellschafter verteilen. So ein Fall ist, aus meiner Sicht, die Merck KGaA, bei der das individuelle Konstrukt der Zusammensetzung des Gesellschaftskapitals der eigentiche Aufhänger für meinen heutigen Beitrag war. Natürlich möchte ich bei einem Aktienkurs von knapp 95,50 Euro en passant noch gleich herausfinden, wieviel Value ich für diesen Preis erhielte.
Viel Spaß nun beim Mitlesen!
Geschäftsstruktur
Die Merck KGaA unterteilt ihr Business in drei Segmente: Healthcare, Life-Science und Performance Materials.
Das Segment Healthcare hat sich die Mission „Patienten zu helfen“ auf die Fahne geschrieben (ja, wirklich so lapidar!). Diese Hilfe soll nicht allumfassend, sondern speziell in den Therapiebereichen Allergien, Allgemeinmeidizn, Endokrinologie, Fertilität, Neurodegenerative Erkrangungen und Onkologie wirken. Meiner Meinung nach ist das eine klare Abgrenzug zu anderen Pharma-Unternehmen (sprich: Bayer) mit einer Fokussierung auf spezielle, vermeintlich profitablere Nischen in der Healthcare-Branche.
Im Segment Life-Science werden „modernste Werkzeuge, Dienstleistungen und Fachwissen“ für Wissenschaftler bzw. die „globale „Wissensgemeinschaft“ angeboten und vertrieben. Etwas weniger hochtrabend formuliert verkauft Merck hier über 300.000 Produkte, die von „Laborwassersystemen, zu Genome-Editing-Verfahren, Antikörpern, Zelllinien und Komplettlösungen für die Herstellung von Medikamenten reichen“. Einen guten Überlick bekommt der Leser auf eigens dafür erstellten Webseite: SigmaAldrich.com.
„Das Portfolio unseres Geschäftsbereiches Performance Materials ist so vielfältig wie die Farben des Regenbogens“, heißt es auf der Webseite des Unternehmens (Was für ein toller Werbetext!). „Bahnbrechende Flüssigkristalle und OLED-Materialien für Displays, Materialien für integrierte Schaltkreise, Effektpigmente für Beschichtungen und Kosmetik oder funtionelle Materialien für Energielösungen. In diesem Bereich konkurriert das Unternehmen aus meiner Sicht klar mit BASF und Henkel.
Insgesamt ist das Unternehmen mit 52.000 Mitarbeitern in 66 Ländern der Erde vertreten und investierte 2018 knapp 2.200 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Ständiger Innovationsdrang und eine gut gefüllte Innovationspipeline ist also zentraler Bestandteil bei der Beurteilung der zukünftigen Ertragskraft des Unternehmens.
Eigentümerstruktur
Nachdem die Geschäftsstruktur vergleichsweise einfach zu erklären war, erfolgt nun die Erläuterung des eigentlichen Aufhängers meiner Analyse: die Eigenkapital- und damit die Eigentümerstruktur der Merck KGaA. Meine Erläuterung basieren auf dem Anahng des 2018er Geschäftsbericht der Merck KGaA.
Das Unternehmen ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), deren Gesellschaftskapital sich aus zwei separaten Komponenten zusammensetzt. Die eine Komponente ist das Grundkapital der Aktionäre der Gesellschaft, das in 129.242.251 Stückaktien sowie eine Namensaktie aufgeteilt ist; die andere Komponente des Gesellschaftskapitals sind „private“ Vermögenseinlagen eines Komplementärs. Bei der Merck KGaA ist dieser Komplementär eine eigene Kommanditgesellschaft namens „E. Merck KG“.
Die interessante Frage lautet nun: Wie hoch, im Verhältnis zum Grundkapital der Aktionäre, ist das Komplementärkapital? Hier kommt auch gleich die noch interessantere Antwort: das gesamte Gesellschaftskapital der KGaA (100%) setzt sich zu 70,274% aus Komplementär- und zu 29,726% aus Aktionärsgrundkapital zusammen (Stand: Ende 2018). Anders ausgedrückt: Das gesamte Gesellschaftskapital (565,2 Mio. Euro) der KGaA setzt sich zu 168 Mio. Euro aus Aktionärsgrundkapital und zu 397,2 Mio. Euro aus Komplementärkapital der E. Merck KG zusammen. Klar soweit, oder?
Um nun entsprechend dieses Eigentumsverhältnisses sowie den unterschiedlichen Haftungsverpflichtungen von Komplementär und Aktionär Rechnung zu tragen, besteht zwischen der E. Merck KG und der KGaA eine Gewinnabführungsvertrag in beide Richtungen, der diese Tatsachen widerspiegelt. Kurz gesagt: ungefähr 70% des Ertrages der KGaA wird an die E. Merck KG abgeführt UND ungefähr 30% des Ertrages(?) der E. Merck KG geht zurück an die KGaA. Erst nach dieser Gewinnabführung werden die Aktionäre der KGaA mit ihrem Gewinnanteil bedacht.
Bilanz
Die Ende 2018 ausgewiesene Eigenkapitalquote des Unternehmens beträgt rund 46,7%. Diese Quote dürfte sich nach der für die Übernahme des amerikanischen Chipherstellers Versum Materials in 2019 begebenen Anleihe in Höhe von 2.000 Mio. Euro signifikant verringert haben. Ende es ersten Quartals 2019 lag die Quote jedenfalls noch bei 45,6%.
Im Geschäftsjahr 2018 veräußerte Merck den Geschäftsbereich „Consumer Health“ für rund 3.400 Mio. Euro an Procter & Gamble, was in den hier zugrunde liegenden Zahlen für die Bilanz bereits berücksichtigt ist. Zum Ende des ersten Quartals 2019 besteht die Vermögensseite der Merck-Bilanz (38.717 Mio. Euro) im Wesentlichen aus Geschäfts- und Firmenwerten (13.966 Mio. Euro), Sachanlagen (5.921 Mio. Euro), Vorräten (2.937 Mio. Euro), Forderungen aus Lieferungen und Leistungen (3.616 Mio. Euro) und Cash (2.340 Mio. Euro). Eine weitere Vermögensposition namens „sonstige Vermögenswerte“ in Höhe von 7.052 Mio. Euro besteht, lt. Anhang des 2018er Geschäftsberichtes, aus „Kundenbeziehungen, Marken- und Warenzeichen“, aus „Marktzulassungen, Patenten und Rechten“ sowie aus „Software und in Entwicklung befindlicher Software“.
Das Eigenkaptial der KGaA beträgt Ende Q1/2019 rund 17.640 Mio. Euro. Aufgrund der erläuterten Eigentümerstruktur ist die Berechnung des bilanziellen Buchwertes pro Aktie nun nicht trivial. In diesem Zusammenhang finde ich es löblich, dass die Merck KGaA auf ihrer IR-Seite eine „theoretische Anzahl Aktien“ ausweist, die die oben geschilderten Abhängigkeiten und Regelungen bei der Eigentümerstruktur in einer greifbaren Kennzahl ausdrückt; das Komplementärkapital wird quasi „in Aktien umgerechnet“. Auf Basis dieser theoretischen Anzahl Aktien (434,8 Mio. Stück) errechnet sich nach Anteilen nicht beherrschender Gesellschafter für Q1/2019 ein Buchwert je Aktie von 40,57 Euro.
Das F-Score-Test der Merck KGaA zeigt von 2017 zu 2018 übrigens eine solide 7 (unter Berücksichtigung der Veräußerung von Consumer Health; siehe Tabelle dazu im Anhang).
Gewinn
Bei der Berechnung des Gewinns je Aktie im 2018er Geschäftsbericht wird über Punkt 17 des Anhangs darauf hingewiesen, dass diese Berechnung auf Basis der theoretischen Anzahl Aktien basiert, was aus meiner Sicht auch folgerichtig ist. Für die Geschäftsjahre 2010 bis 2017 betrug der durchschnittliche Gewinn je Aktie 3,12 Euro. Der Gewinn des Geschäftsjahres 2018 ist durch den Veräußerungserlös von „Consumer Health“ verfälscht. Diese Veräußerung ist es auch, die die Gewinne der letzten Jahre obsolet für die zukünftigen Erwartungen macht, denn in den Gewinnen bis 2017 sind die Erträge des veräußerten Geschäftsbereiches ja immer mit eingeflossen. Wie also weiter?
Der Gewinn je Aktie (2018) betrug 7,76 Euro; davon entfallen 2,51 Euro auf das fortgeführte Geschäft, aber rund 5,25 Euro auf das aufgegebene Geschäft. Aus dem Gewinn des fortgeführten Geschäftes ergibt sich zum aktuellen Aktienkurs ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von üppigen 38. Die gute Nachricht ist, dass die Dividende 2018 (1,25 Euro) auch weiterhin vom fortgeführten Geschäftsgewinn gedeckt ist. Beim aktuellen Kurs rentierte die letzte Dividende mit 1,3%.
In der aktuellen Unternehmenspräsentation wird für das aktuelle Geschäftsjahr 2019 ein „EPS (Gewinn je Aktie) pre“ zwischen 5,30 Euro und 5,65 Euro vorausgesagt. Apropos „pre“: „die wichtigste interne und externe Bewertungskennzahl in Hinblick auf die laufende operative Tätigkeit“ der Merck KGaA ist das „EBITDA pre“ und das eben daraus resultierende „EPS pre“.
Das EBITDA pre besteht aus dem „normalen“ EBITDA zu dem Restrukturierungsaufwendungen, Integrations- / IT-Kosten, Veräußerungsgewinnen/-verlusten und sonstige Anpassungen hinzugerechnet werden. Anders ausgedrückt: Sie vernachlässigen bei dieser, ihrer wichtigstenen Steuerkennzahl einfach alles, was laut ihrer unternehmensinternen Definition nicht zum operativen Geschäft gehört. Aus diesem EBITDA pre errechnet sich dann der „Gewinn je Aktie pre“. Für das Geschäftsjahr 2018 lag dieses „EPS pre“ bei 5,10 Euro, nach 5,92 Euro in 2017 (alle Zahlen ohne den Consumer Health Beitrag zum Gesamtumsatz/-gewinn; eben „pre“ und rückwirkend angepasst). Und hier kommt dann auch die schlechte Nachricht: wenn das fortgeführte Geschäft ein echtes EPS (ohne pre) von nur 2,51 Euro in 2018 erreichte, das EPS pre allerdings bei 5,10 Euro lag, dann wird mehr als die Hälfte der wichtigsten Steuerkennzahl des Konzerns OHNE die oben genannten Kosten berechnet. Diese Kosten, die jeder „normale“ Konzern in seinen wichtigsten Steuerkennzahlen berücksichtigen würde, fallen doch aber trotzdem an, bestimmen die Dividende mit, weil es ja eben trotzdem Aufwände des Geschäftes sind.
Zusammenfassung
2018 feierte die Merck KGaA ihr 350. (!) Firmenjubiläum. Das ist ein ziemlich beeindruckendes Alter. Die Geschichte des Unternehmens ist von Anpassungen, Veränderungen und kontinuierlichen Innovationen geprägt. Vielleicht ist die Eigentümerstruktur auch eine dieser Innovationen. Das ist sehr beeindruckend und wird sicherlich auch so weitergehen. Die Frage, die ich mir als Value-Investor allerdings immer wieder stellen muss, ist, ob der Aktienkurs für eine Aktie gerechtfertigt ist („Gewinn liegt im Einkauf“ und so fort….).
Ich lasse diese ganze „pre“-Geschichte mal außen vor und konzentriere mich auf die gleichen Bewertungsgrundlagen, die ich auf jeden anderen Konzern anwende. Das EPS für das fortgeführte Geschäft beträgt Ende 2018 also 2,51 Euro. Merck ist ein innovatives Unternehmen, das weltweit tätig ist und das, abgesehen von Akqusitionen/Devestitionen, regelmäßig solide, organische Wachstumszahlen zeigt. Sagen wir also der Gewinn je Aktie bleibt für die nächsten 7 Jahre konstant. Zusammen mit dem Buchwert je „theoretischer“ Aktie ergibts hieraus also für mich ein erster innerer Wert von rund 58,14 Euro. Weil ich aber aufgrund meiner eigenen Fehlbarkeit in Bezug auf Zukunftsvorhersagungen auf eine Sicherheitsmarge bestehe, muss ich hier noch etwas abziehen.
Mit einer Sicherheitsmarge von 10% liegt der innere Wert der Aktie für mich daher bei 52,33 Euro. Beim aktuellen EPS (ohne pre) ergäbe sich bei diesem Kurs ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 5. Ich will hier aber nicht verschweigen, dass die Attraktivität des Unternehmens mich vielleicht auch schon bei 60 Euro, sprich ohne Sicherheitsmarge, zu einem Einstieg bewegen könnte. Ich warte also ab und nehme das Unternehmen im nächsten Monat mit auf meine Watchlist.
– Fin –
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