Gestern Nacht, kurz bevor die Wanduhr unfeierlich die Geisterstunde einläutete, fand ich mich mit dem Handy bewaffnet peinlicherweise immernoch auf der Couch fläzend und zum x-ten Male meinen Twitter-Stream durchscrollend, eigentlich viel zu müde, um wirklich ins Bett zu gehen. Meine Trägheit wurde belohnt, denn ich stieß auf ein paar interessante Beiträge, die mich wieder einmal, und ja, auch zu später Stunde noch, zum nachdenken brachten.

Der erste Beitrag war von Michael C. Kissig verfasst und erörterte die Frage, ob Versicherungsaktien dato eher eine Value-Chance oder ein Value-Trap sind. Es fiel mir schwer, seinen Argumenten (langfristig niedrige Zinsen, daher höheres Risiko für die gesamte Versicherungsbranche; die Rendite des „Floats“ wird quasi immer teurer) wirklich etwas Stichhaltiges entgegen zu setzen und bin daher geneigt, diese Bedrohungslage ähnlich zu sehen. Hinzu kommen die zitierten Warnungen der BaFin und die von ihm erwähnte Schieflage einiger Lebensversicherer. Und ich möchte mir auch nichts vormachen: wenn die EZB nicht gnadenlos garantieren würde, eigentlich jedes Wertpapier vor dem nachhaltigen Absturz zu retten, dann hätte wahrscheinlich auch die MunichRe ein echtes Problem, Gewinne und Dividenden zu halten.

Der zweite Beitrag stammte aus der Feder Dirk Müllers und befasste sich mit der „Sorglosigkeit“, die momentan an den Aktienmärkten zu herrschen scheint. Der DAX stünde wieder bei 13.000 Punkten, obwohl die wirtschaftlichen Probleme eigentlich jetzt erst losgingen; „Vorwärts immer“, zu immer neuen Schuldenbergen, meinte er; Scheitern des Systems sei keine Option und ein Staat geht eh nie pleite, sondern immer nur seine Bürger. Und Mr. Dax gibt noch einen anderen Einblick, der meine Müdigkeit dann endgültig marginalisierte.

  • bei der Deutschen Bank haben 70.000 Kunden eine Stundung von Krediten beantragt
  • bei den Sparkassen gibt es aktuell 189.000 ausgesetzte Verbraucherkredite
  • bei den Sparkassen befinden sich 366.623 Kreditverträge bereits in Stundung; davon 189.252 Privatkunden und 177.371 Gewerbekunden

Woher Herr Müller diese Zahlen hat, weiß ich leider nicht, aber ich nehme diese Aussagen jetzt einfach mal ungeprüft zu Kenntnis.


Dirk Müllers Eindruck von der Sorglosigkeit teilte übrigens auch Mark Cuban (Milliardär und Eigentümer der Dallas Mavericks) auf CNBC am Montag. Für ihn fühlt sich die „Corona-Rallye“ ein wenig wie die Dot-Com-Blase an. Nun ja: von jemandem, dessen Job-Bezeichnung „Milliardär“ lautet, muss man nicht so viel halten. Ich bin nur gestern drüber gestolpert und wollte es nicht unerwähnt lassen.


Value-Investing in dieser Zeit?

So! Mit der obigen Lektüre hatte ich doch gestern um Mitternacht wieder einmal einen guten Überblick über den deutschen Finanzsektor (Banken & Versicherungen) gewonnen, oder? Dass ich dann nicht sofort schlafen gehen wollte, ist hoffentlich verständlich. Besonders wenn ich bedenke, dass ich, also als Bürger, vollständig von diesem Sektor abhängig bin; dass eigentlich alle Bürger von diesem Sektor abhängig sind, dieser Sektor somit bereits seit Jahren too big to fail ist, immer weiter wuchern kann und eigentlich kein anderes Ende vorstellbar ist, als ein unkontrollierter Kollaps.

Als alter Value-Fetischist rufe ich im Geiste dann meinen Veteran-Investor Warren Buffett an und diskutiere mit ihm. „Was nun, Warren?“, frage ich ihn. Leider schafft er es nicht, mir das Vertrauen in und die Sinnhaftigkeit des Value-Investings in einem künstlich am Leben gehaltenen Aktienmarkt wie diesem wiederzugeben. Warren ist quasi blind. Er ist, wenn man es genau nimmt, eigentlich nur Betriebswirtschaftler. Vielleicht hat er einen Branchenüberblick bei seinen Investements/Unternehmen, aber das haben gute Betriebswirtschaftler auch. Warren wird immer blind in das System vertrauen; Aktien, „The American Way“, Freedom etc. wird immer da sein. Und daher gibt es keine externe Bedrohung bzw. keine richtige Alternative zum Value-Investing.

Dieses blinde Vertrauen gipfelt in der Meinung, die Warren über Edelmetall-Investments pflegt. Frei übersetzt: „Ein Metall, das einige Menschen auf der einen Seite der Erde ausgraben und verkaufen an Leute, die es dann auf der anderen Seite der Erde zum Schutze wieder verbuddeln.“ Ohne Sinn, ohne Rendite, ohne Marke, ohne MOAT.

Und hier beende ich im Geiste dann mein Telefonat mit Warren und rufe seinen Vater Howard an…

Gold & Silber

Die Preisentwicklung von Gold und Silber dürfte jedem halbwegs interessierten Investor nicht entgangen sein. Der Goldpreis hat sich in den letzten 3 Jahren um knapp 46% erhöht, der Silberpreis um knapp 30%. Zum Vergleich: mein Realtime-Depot rentierte in diesem Zeitraum „nur“ 42%. Warum erwähne ich das alles? Ganz einfach: weil mich Howard Buffett dazu mahnt, das Gold, oder Edelmetalle im Allgmeinen, als Sicherungsinstrument gegen eine unvernünftige, ausufernde, unkontrollierte Geldpolitik nicht zu vergessen!


Jedes mal, wenn ich daran denke, muss ich die Abschrift seiner Rede aus dem Jahr 1946 neu googlen. Daher habe ich mich entschlossen, diese PDF nun hier auf meine Blog selbst zu hosten;

An dieser Stelle möchte ich gern eine Bitte äußern: Wenn irgendjemand eine Information, einen Link, ein Dokument etc. dazu hat, was Warren zu diesen Ausführungen seines Vaters meint, dann wäre ich für eine Übermittlung sehr dankbar! Ich bin kein Psychologe, aber von dem, was ich in Warrens „Snowball“-Biografie gelesen habe, war das Vater-Sohn-Verhältnis nicht einfach für das Kind. Warren war 16 Jahre alt, als der Vater diese Rede hielt, aber offensichtlich meint Warren heute, beim Thema Gold, Geldstabilität, Geldpolitik klüger zu sein, als sein Vater.


Wenn es also keine Währung der Welt mehr eine Goldbindung hat, sich alle Notenbanken der Welt fröhlich mit den Regierungen an der Druckerpresse treffen, dann ist es meine persönliche Aufgabe, mich vor einen Kollaps des wuchernd-wankenden Finanzsektors zu schützen, sagt Howard. Warren (und viele andere Value-Investoren) würden mich wahrscheinlich dafür auslachen. Na und?

Michael Kissig zitiert in seinem oben erwähnten „Value-Trap“-Artikel Benjamin Graham mit den Worten:

Ein Investment liegt immer dann vor, wenn nach einer gründlichen Analyse in erster Linie Sicherheit und erst im Anschluss daran eine zufriedenstellende Rendite steht.

Benjamin Graham im Artikel von Michael Kissig

Das Value-Investing in Aktien ist Teil des Finanzsystems. Innerhalb dieses Systems kann das Value-Investing sicherlich die eine oder andere vermeintliche Sicherheit bieten (Stichwort: Sicherheitsmarge). Außerhalb allerdings, also gegen externe, systembedrohende Faktoren, ist das klassische Value-Investing in Aktien machtlos. Und an dieser Stelle ist unser lieber Warren leider betriebsblind, weil er außerhalb des Finanzsystem keinerlei Sicherheit gewährleisten kann bzw. nicht einmal die Möglichkeit einer Bedrohung des Status quo in Betracht zieht.

Fazit

Niemand kann in die Zukunft sehen und alles, was ich hier ausführe ist der krampfhafte Versuch, aus dem täglichen Informations-Taifun eine begründete Basis für meine eigenen, sicherheitsbedürftigen Investitionsentscheidungen zu erbauen. Wie sich das in meiner Praxis konkret darstellt, möchte ich hier einfach kurz umreißen.

Während der Finanzkrise 2008/09 habe ich begonnen mir, parallel zu meinen Aktieninvestitionen einen gewissen Bestand an Gold- und Silbermünzen (weltweit standardisierte Bullionmünzen) zuzulegen. Mal mehr Gold gekauft, mal mehr Aktien gekauft. In Summe ist es heute so, dass der Wert meines physischen Edelmetalldepots dem Wert meines Aktiendepots entspricht. Fast 1 zu 1. Das war nicht immer so, aber heute ist es durch die Wertentwicklungen des Edelmetalls einfach so gekommen.

Aktien kaufe und verkaufe ich regelmäßig, um die so geliebte Rendite zu erwirtschaften. Von meinem Edelmetall habe ich seit fast 12 Jahren nicht eine einzige Position auch nur reduziert. Was soll ich mit den Erträgen? Noch weiter in Aktien stecken? Ich bin doch nicht verrückt! Oder in Immobilien? Bei diesen Preisen? Nun schlägt es aber Dreizehn!

Und wie stressfrei das Edelmetall da liegt! Eine wahre Wonne. In diesem Sinne verweise ich noch auf meinen Artikel zum „Richtigen Sparen“ und schließe für heute mit den besten Investment-Wünschen für alle Leser.

– Fin –