Ein herzliches Willkommen zu meinem jährlichen Blogeintrag! … Nein, nein, ich hoffe, dass ich 2025 öfter als in 2024 unterjährig Gelegenheit finde, etwas Interessantes hier zu veröffentlichen und bin für diesen Beitrag heute in dieser Hinsicht auch guter Dinge.
Ich schlage mich nämlich immer noch mit dem Dilemma herum, dass ich durch die Corona-Zäsur so ein wenig den Glauben an die ausschließlich Kennzahlen-gesteuerte Investmentphilosophie/Value-Theorie verloren habe. Wenn ich davon ausgehe, dass Dinge wie „Corona-Pandemie“ und „brutaler, russischer Angriffskrieg“ andere unvorhersehbare Ereignisse jede Unternehmensbewertung jeden Tag und in beliebigem Ausmaß ad absurdum führen können, was ist denn dann ein verläßlicher Ansatz für stetigen Vermögensaufbau? Dazu also heute hier im Beitrag mehr aus meiner Gedankenwelt und auch Investmentpraxis des letzten Jahres, zu der inzwischen auch Neo-Broker zählen.
Value-Kennzahlen bleiben gesetzt, aber dann…
Auch wenn die Zäsur der Corona-Jahre stark war und bis heute wirkt bin ich von der grundsätzlichen Aussagekraft von Value-Kennzahlen wie Eigenkapitalquote, KGV, Dividendenhistorie, Gewinnhistorie, Cash-Flow etc. überzeugt. Mein erster Blick auf eine Aktie, mein erster Eindruck also speist sich weiterhin und wahrscheinlich immerfort aus dem, was wir durch Value-Kennzahlen vermittelt wird.
Unter der Wirkung dieses Eindruckes gelange ich dann zu einer Einschätzung in der Form „ja, investierwürdig unter Value-Aspekten“ oder „nope, schön die Finger davon lassen“. Wenn ich zu einer positiven Einschätzung gelangt bin stellt sich anschließend die Frage nach dem Preis, den ich für den vermeintlich „erkannten“ Value bezahlen müsste.
In der Vergangenheit – und das ist hier im Blog sehr gut nachzuvollziehen – habe ich für aus meiner Sicht gute Unternehmen meist einfach Gewinne in die Zukunft projiziert, eine gewissen Sicherheitsmarge für die Abfederung der zukünftigen Unsicherheit einberechnet (Minus 20-50% meiner Projektion) und gelangte so zu einem fairen Preis für die Aktie (nachzulesen bei Analysen zu Unternehmen wie Fielmann, Frosta oder Rational AG).
Wenn die Aktie aufgrund meiner Berechnung einen fairen Wert hatte, habe ich sie gekauft, wenn nicht, dann landete sie höchstens auf meiner Watchlist und ich habe gewartet, bis das für mich passende Preis/Value-Verhältnis erreicht war. Dass dieses Vorgehen nicht mehr ganz meinem Empfinden entsprach, weil es irgendwie zu starr war und in Corona-Zeiten ohnehin völlig unzureichende Aussagen lieferte, habe ich versucht in einem 2022er Depotupdate-Artikel mit einem Absatz zum „Value-Investment-Feeling“ darzulegen.
Reduzierung des Risikos / Verstetigung der Investition
Das oben beschriebene Gefühl hielt bis ungefähr bis Ende 2023, Anfang 2024 an, meine Investmenttätigkeit kam fast zum erliegen, was auch ein Grund für die spärliche Beitragsfrequenz hier in diesem Blog sein mag. Wenn es tausend gute Blogger, Finanzanalysten, Frugalisten – und wie sie alle heißen – gibt, was soll ich dann noch beitragen, wenn ich auch nur ein Unternehmen anhand gängiger Kennzahlen bewerte und eine Schlussfolgerung ziehe? Worauf soll ich eine für mich schlüssige Investmentenscheidung basieren, die nicht von tausend Seiten schon betrachtet, bewertet und besprochen wurde?
Ich kam also zu dem Schluss, dass ich die Aktienquote meines Vermögens nicht weiter ausbauen sollte, sondern – bei der „damals“ noch steigenden Zinskurve – wieder vermehrt auf Cash setzen müsste, bis ich einen für mich belastbaren Ausweg aus dem Dilemma gefunden habe. Auf der Suche „nach dem besten Tagesgeld“ kam ich natürlich an den Neo-Brokern nicht mehr vorbei und habe dort ein Konto eröffnet (keine Namen, weil wozu?; Werbung läuft hier nicht, was ein Neo-Broker ist, kann jeder selbst googeln „suchmaschinen“).
Ursprünglich ging es mir nur um die sehr hohen (EZB-gleichen) Tagesgeldzinsen für mein Cash. Stück für Stück aber verführte mich die fast spielerische Leichtigkeit („wischen, suchen, wischen, kaufen, wischen, verkaufen, wischen, Sparplan, wischen, Freistellungsauftrag“ etc.) der Investmentabwicklung. Ich entdeckte, dass eine Order unabhängig vom Volumen nur einen Euro kosten muss. Ich entdeckte, dass ein Sparplan, der zweimal im Monat einen fixen Betrag in eine Aktie investierte, Null Euro kosten kann. Ich entdeckte, dass ich über die mit der zum Konto gehörenden Debitkarte getätigten Einkäufe „Savebacks“ mit Faktoren versehen kann, um damit in bestimmte Aktien für Null Euro zu investieren.
Das alles war neu für mich, aber es führte im Laufe des letzten Jahres (2024) dazu, dass ich meine Investmentfrequenz wieder aufnahm, weil ich die für mich so liebgewonnene, aber fahl gewordene zahlenbasierte Value-Strategie um die Komponenten der Diversifikation (immer mehr gute, aber idealerweise komplementäre Unternehmen zu geringen Transaktionskosten) und Verstetigung (kostenlose Sparpläne unabhängig vom Preis) erweitern konnte.
Fazit
Neo-Broker im Allgemeinen erscheinen mir noch sehr suspekt. Eine einzige App auf einem Handy (was ist, wenn mein Handy weg ist?), irgendeine Bank, die keine Filiale mehr besitzt, aber über mein Investment-Cash verfügt (und das auch noch über „Treuhänderkonten“ bzw. „Geldmarktfonds„, wenn es „zu viel wird“); das alles sorgt nicht gerade für ein „wohliges Gefühl“.
Allerdings vertraue ich darauf, dass meine Wertpapiere wie gewohnt „ein Sondervermögen“ darstellen, sodass ich sie bei einer Insolvenz des Neo-Brokers schon „irgendwie“ zurückerhalten werde. Darüber hinaus halte ich die Cash-Quote bei einem solchen Anbieter so gering, dass es „nicht zu viel wird“, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, einen Geldmarktfonds zur Anlage bemühen zu müssen (by the way: meine Erfahrung zeigt, dass die magische Grenze hier bei 10.000 Euro liegt; alles was darüber „liegt“ könnte in einen Geldmarktfonds wandern und dem habe ich über die AGBs offensichtlich „zugestimmt“).
Kurzum: ich habe hier im Blog viele Unternehmen analysiert, preislich eingeschätzt (gut/schlecht? und danach teuer/günstig?) und habe daraufhin meist in Einzelaktien/-positionen investiert und sie gehalten. Inzwischen kenne ich meine „Pappenheimer“ und glaube zu wissen, wo „Value“ drinsteckt. Die Problematik der Prognosen zukünftiger Gewinne „heile“ ich inzwischen damit, dass ich, tatsächlich UNABHÄNGIG vom Preis, Sparpläne aufsetze und diese laufen lassen. Wenn die Unternehmen für kräftig und gesund halte, dann kaufe ich sie. Ich achte darauf, dass ich über die Branchen diversifiziert bin; ich achte darauf, dass ich bei „Blue Chips“ ein Übergewicht habe. Somit bin ich neben den oben Genannten inzwischen auch stolzer Miteigentümer von Henkel, Wacker Neuson, Allianz, BASF, Sixt, Paul Hartmann, Schloss Wachenheim und EVN. Ab und zu, wenn der Preis stimmt, kaufe ich auch mal „im Bulk“ nach, weil das nur einen Euro Gebühr kostet.
Dies ist im Wesentlichen der Ansatz, der mich zurück an den Roulette-Tisch geholt hat und bisher bereue ich es nicht. Wenn ich es zeitlich schaffe, dann will ich diese Herangehensweise in diesem Jahr noch einmal im Musterdepot darstellen… Ich hoffe, das klappt.
Kurze Frage: nach den erwähnten Firmen investierst Du überwiegend soweit es sich um Aktien handelt. In deutsche Unternehmen, was ich für einen Fehler halte. Warum handelst Du so. Viele Grüsse Markus
Hallo Markus,
ja, es ist tatsächlich so, dass ich hauptsächlich Aktien von Unternehmen kaufe, die im Euro-Raum angesiedelt sind. Das mache ich so, weil mir der Sprach- und Rechtsraum näher ist. Ich kann mir nicht vorstellen, nach Washington zu fahren, um dort eine HV oder ein Gericht zu besuchen. Im Euro-Raum halte ich das für wahrscheinlicher bzw. für überhaupt möglich.
Ferner will ich die Wechselkursschwankungen, die bei Unternehmen, die in Dollar/Yen/Yuan etc. berichten, soweit wie möglich vermeiden. Ich lebe im Euro-Raum, ich zahle in Euro, also investiere ich direkt in Unternehmen, die in Euro berichten. Abgesehen davon sind die Unternehmen meist sowieso international tätig und haben eigene Möglichkeiten, die Währungsrisiken abzufedern bzw. das Risiko global zu streuen.
Was ich aber stattdessen mache, um internationale Wertpapiere beizumischen, sind Branchen- oder Länder ETFs zu kaufen, die in Euro lauten. Das ist für mich das geringste Risiko und „ausreichend“ international.
Viele Grüße
V. Bouvier